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NÖ Gestalte(n) Ausgabe 138

NÖ gestalten 138 5555   Erscheinungsbild und Sinnbild Im Unterschied zu einem naturbelassenen Wald weisen bewusst gestaltete Kulturlandschaften, Parks oder Gärten ähnliche As- pekte auf wie die Architektur. Hinter diesen Gestaltungen ste- hen in der Regel präzise Absichten ihrer „Autoren“. Die Erschei- nungsbilder können für jemanden, der sie entschlüsseln kann, genau über diese Absichten informieren. Darin begründet sich die kulturelle und politische Dimension der gestalteten Umwelt. Natürlich kann man sich solchen „Texten“ auch mit der Wahr- nehmungsweise eines Buchdruckers nähern. Er beobachtet pri- mär, ob das Schriftbild passt und ob die Größe, Schärfe oder Schwärze der Buchstaben handwerklich korrekt ausgewählt sind. Er dringt in der Regel nicht zu den literarischen Aspekten eines Textes vor. Ganz anders ist das bei einem Leser, den z.B. die Spannung eines Krimis fesselt. Im Idealfall haben der Charakter des Textes und das Erscheinungsbild der Schrift ein präzise pas- sendes Verhältnis zueinander. Deshalb schauen Telefonbücher in der Regel auch anders aus als ein Band mit Liebeslyrik. Die Sinnhaftigkeit des Verhältnisses zwischen Erscheinungsbildern und den von ihnen vermittelten Bedeutungen sollte jedenfalls ein entscheidendes Kriterium in Landschafts-, Stadt- und Orts- bildfragen sein. Ist das in der aktuellen Planungs- und Verwal- tungspraxis auch der Fall? Eine kritische Beobachtung Heute bekommt man sehr deutlich den Eindruck, dass wir auf die von uns gestaltete und verwaltete Umwelt eher mit den Augen eines „Druckers“ und nicht mit den Augen eines „Le- sers“ schauen. Sogar in den Bauvorschriften werden wesent- liche architektonische Artikulationsmöglichkeiten schematisch eingeschränkt und damit die Möglichkeiten aussagekräftige und standortgerechte bauliche Aussagen zu treffen auf einer rein formalen Ebene behindert. Nahezu alle Bauordnungen ver- langen eine vordergründige, bloß auf die oberflächlichen Er- scheinungsbilder reduzierte „Harmonisierung“ zwischen neuer Architektur und Bestand. In vielen Fällen wird das auch eine überzeugende Antwort auf die von konkreten Standorten auf- geworfenen Fragen sein können. Aber in allen Fällen? Unter solchen rechtlichen Randbedingungen hätten nie großartige Kathedralen in kleinteiligen bürgerlichen Stadtstrukturen er- richtet werden dürfen. Auch das Stift Melk und viele andere aussagemächtige Architekturen hätten nie zur Ausführung kommen können. Wir können ihre Sonderstellungen in Hinblick auf Standortwahl, Maßstäblichkeit, Materialität, Signifikanz etc. aber gut akzeptieren, weil diese Architekturen in Beziehung zu den von ihnen vermittelten Botschaften „Sinn“ machen. Stadtplanung und die Herstellung von Architektur (im Sinne von Adolf Loos) sind daher nicht vorrangig als kosmetische Dis- ziplinen zu begreifen, die sich primär mit der Ästhetik ober- flächlicher Erscheinungsbilder befassen, sondern als Möglich- keiten, in unseren Lebensräumen nachhaltig Sinn zu stiften. Erst dadurch können wir formalistischer Beliebigkeit entgehen und tragfähige, von Verantwortung geprägte Beziehungen zu der von uns gestalteten Umwelt entwickeln. (wird fortgesetzt) Erich Raith_raith nonconform architektur vor ort Arch.DI Dr. Erich Raith ist Ao.Univ.Prof. am Institut für Städtebau, Landschaftsarchitektur und Entwerfen, Fachbereich Städtebau, an der TU Wien

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