Dass es ursprünglich aus dem Baujahr 1690 stammt, ist dem alten Haus in der Altstadt von Retz nicht anzusehen. Es wurde nämlich in den 1960ern aufgestockt. Eine sehr sensible, anspruchsvolle Bauherrin und die Architekten mönkemöller und kreppel öffneten es mit einer großen Terrassentür und einem Erker im ersten Stock zum Garten.
Der Bau dieses Hauses sollte ohne Streit über die Bühne gehen“, sagt die Bauherrin. Die ausgebildete Architektin weiß, wovon sie spricht. In der Baubranche herrscht ein rauer Ton, sie blieb ihrem Vorsatz treu. Diese gute Energie ist im Haus überall zu spüren, begleitet seine Geschichte von Anfang an und trug es auch über die erste Krise. Denn der richtige Architekt fand sich nicht auf Anhieb. Die Bauherrin hatte hohe Ansprüche und die Qualitäten des desolaten Hauses erschlossen sich nicht auf den ersten Blick. Die Architekten mönkemöller und kreppel erwiesen sich als Glücksgriff.
Den Wunsch nach einem Landsitz hegte die Bauherrin schon länger, ihre Familie teilte ihn nicht. Dann erzählte ein Bekannter von dem alten Haus mitten in Retz. „Ich habe es gesehen, sofort geliebt und zum Glück bekommen“, sagt sie. Das war nicht so leicht, die Besitzerin war wählerisch. Es war ihr Elternhaus, sie wollte es in guten Händen wissen. Bei der Bauherrin war es bestens aufgehoben.
Paradiesischer Garten
Das Haus liegt sehr zentral in zweiter Reihe hinter dem Hauptplatz auf einem schmalen, langen Grundstück, das sich bis zur denkmal geschützten Stadtmauer erstreckt. Zur Straße im Süden zeigt es sich sehr unscheinbar: Im Erdgeschoß drei hochformatige Fenster, darüber im ersten Stock zwei liegende. Dass es ursprünglich aus dem Jahr 1690 stammt, ist ihm nicht anzusehen, die Aufstockung aus den 1960er Jahren und ein rückwärtiger Zubau absorbierten die spätmittelalterlichen Wurzeln.
Am Keller, der mit den verzweigten Gewölben der Altstadt verwoben ist, den dicken Mauern, dem trapezförmigen Grundriss und dem alten Hinterhaus, das sich am Ende des paradiesischen Gartens an die Stadtmauer schmiegt, werden sie sichtbar.
Der Zustand des Hauses war schlecht, die Treppe im Eck sehr ungünstig gelegen, Bezug zum Freiraum gab es kaum, die Pfarrkirche St. Stephan erahnte man gerade durch ein Fenster im ersten Stock. „Die Blickbezüge sind hier sehr wichtig, man sollte in beide Richtungen hinausschauen können“, erklärt Architektin Anja Mönkemöller. Daher wurden das Fenster vergrößert und gartenseitig im Erd- und Obergeschoß zwei große Öffnungen eingeschnitten.
Die Innentreppe wurde vom Eck an die Mitte der östlichen Seitenwand verlegt. Die neue halbgewendelte Stiege aus Eschenholz ist von den Architekten entworfen und wie ein Möbel gestaltet. Von ihrem Antrittspodest erschließen sich alle Zimmer. Lässt man die gegenüber liegenden Türen offen, sieht man durch das ganze Haus.
Grüne Wohnzimmer zu ebener Erde und im ersten Stock
Das Erdgeschoß lag etwa einen Meter über dem Garten, die Architekten böschten das Gelände etwas auf, dadurch geht man durch eine raumhohe Doppelschiebetür von der Küche direkt auf die Terrasse, von der ein paar Stufen in die Wiese führen. „Der Garten ist wie ein grünes Wohnzimmer, wir wollten das Haus zum Freiraum öffnen“, erklärt Mönkemöller. Im ersten Stock sorgt ein leicht vorstehender, gläserner Erker für ein Rundum-Panorama. „Wir haben vieles probiert, um eine angemessene Lösung zu finden.“ Nun ragt ein schlichter Quader – drei raumhohe, schlanke Scheiben breit – dezent um eine schmale Scheibenbreite vor und öffnet so den Blick in drei Richtungen. Seine Stahlrahmen sind salbeifarben gestrichen, seine Umsetzung war eine Herausforderung. Die alte Dippelbaumdecke war weniger tragfähig als gedacht. „Wir mussten einen Stahlträger bis zur Mittelmauer vorziehen“, so die Architektin. Dafür hat man nun weit mehr als nur den Eindruck, im Garten zu stehen. „Dieser Erker öffnet das Haus zur Landschaft“, schwärmt die Bauherrin. „Man hört die Vögel, sieht bis zur Stadtmauer und zum Schloss Gatterburg hinüber.“ Die größte Überraschung aber war für sie das unauffällige Zimmer mit den zwei Fenstern zur Straße „Ich dachte immer, das sei nur ein Überbleibsel. Jetzt ist dieser Raum für mich ein Geschenk.“ Es ist sehr geborgen und wohnlich.
Zur Straße hin blieb das Haus, wie es war. Die alten Holzfenster wurden saniert, die Fassade neu gestrichen, die Pflanzen auf den Rankgittern werden noch wachsen. Besonderes Augenmerk legte die Bauherrin auf die Farben. Um eine passende zu finden, legte sie Muster aller umgebenden Häuser an. Schließlich wurde es ein warmer Sandton, der je nach Lichteinfall changiert und von salbeifarbenen Fensterrahmen nobilitiert wird. Diese Kombination harmoniert hervorragend mit der Stadt.
Eigentümer: Privat
Planung: mönkemöller und kreppel
Autorin: DI Isabella Marboe
Fotos: Romana Fürnkranz
Luftbild: Wolfgang Spekner