Vierseithof in Saaß

Im Vierseithof passt sich das Wohnen den Jahreszeiten an – ein adaptives Wohnkonzept. In den kalten Monaten konzentriert sich die Nutzung auf den neuen, gut beheizbaren Wohnraum. Im Sommer hingegen wird das Leben auf den gesamten Hof ausgeweitet.
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RAUM IM RAUM | Feinfühliger Umgang mit bestehender Bausubstanz

Ein Vierseithof im Waldviertel – einer von vielen und doch ein besonderer. Nicht nur die lokaltypische offene Ecke zeichnet ihn aus, sondern auch die architektonischen Eingriffe: Der Vierseithof in Saaß zeigt einen feinfühligen Umgang mit bestehender Bausubstanz, der die Möglichkeiten des Bestandsbaus auslotet und entsprechend den Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner weiterbaut.

Raum-im-Raum-Intervention
Die ehemaligen Landwirtschafts- und Wohngebäude dienen heute als Wochenendhaus. Im Winter blieb es früher meist unbewohnt. Denn die Aufenthalte vor Ort waren zu kurz, um das Bestandsgemäuer angenehm zu erwärmen, und zu selten, um ein durchgehendes Heizen zu rechtfertigen. Mit dieser Ausgangslage trat die Bauherrenfamilie an die Architekten Kilian Mattitsch und Walter Kräutler von Architekturkonsulat heran. Anstatt die Heizung zu erneuern und den bestehenden Wohntrakt zu sanieren, haben sie eine andere Idee: In der ehemaligen Scheune mit ihren breiten Toröffnungen und der südwestlichen Lage am Hang soll ein zusätzlicher Wohnbereich entstehen. Im Scheunentrakt mit seinen steinernen Mauern und dem hölzernen Dachstuhl wurde ein zweigeschoßiger neuer Wohnraum platziert, der von dieser Struktur unabhängig ist und doch mit ihr gemeinsam funktioniert – quasi ein Raum im Raum, für den die bestehende Gebäudestruktur eine Schutzhülle bildet. Der neue Wohnraum ist als Holzleichtbau konstruktiv bewusst einfach gehalten. Die elektrische Fußbodenheizung schützt ihn vor Frost und sorgt dafür, dass er sich rasch auf eine angenehme Temperatur erwärmt. Ansonsten wird der Kachelofen zum Heizen verwendet. Um ihn herum sind im Erdgeschoß der Wohnbereich, die Küche und der Esstisch, sowie Eingangsbereich und Sanitärräume angeordnet. Im oberen Geschoß gibt es einen großen Schlafbereich für die Kinder und einen kleineren für die Eltern mit Ausblick auf die umgebende Wiese und den Wald.

Anpassen an den Jahreszyklus
Im Vierseithof passt sich das Wohnen den Jahreszeiten an – ein adaptives Wohnkonzept. In den kalten Monaten konzentriert sich die Nutzung auf den neuen, gut beheizbaren Wohnraum. Im Sommer hingegen wird das Leben auf den gesamten Hof ausgeweitet. Um den hölzernen Wohnraum im Scheunentrakt entstehen durch seine Vor- und Rücksprünge unterschiedliche Freiflächen, die das Wohnen nach außen erweitern: geschützt und intim, offen und exponiert. Eine neu hinzugefügte Terrasse an der offenen Ecke des Vierseithofs lässt die ansonsten dezenten architektonischen Eingriffe augenscheinlich nach außen treten. Sie verbindet den neuen Wohnraum mit dem alten Wohntrakt. Mit ihr hängt auch der einzige Eingriff zusammen, der im bestehenden Wohntrakt vorgenommen worden ist – ein Fenster wird zur Tür, wodurch die neue Terrasse direkt vom Innenraum betreten werden kann.

Die nunmehrigen Bewohnerinnen und Bewohner leben das adaptive Wohnkonzept individuell. So wird im Sommer oft im Bestandsbau geschlafen, da es in den alten Gemäuern angenehm kühl ist. Der Innenhof und die Terrasse bieten viel Platz für große Feste, bei denen Übernachtungsgäste im alten und neuen Wohnraum untergebracht werden, wie Bauherr Ulrich berichtet.

Role Model im Grünland
Vierseithöfe sind in der Region weit verbreitet. Jener in Saaß besticht durch seine spezielle Einzellage. Auch der architektonische Umgang mit dem Baubestand ist hier besonders: Der Vierseithof zeichnet sich durch seine Wechselwirkung aus Ursprünglichkeit und zeitgemäßer Angepasstheit aus. Im Flächenwidmungsplan ist er als „Erhaltenswertes Gebäude im Grünland“ gewidmet, was die Wohnnutzung für Nichtlandwirte sowie sensible Eingriffe und einen Ausbau bis maximal 400 m2 ermöglicht – eine wichtige Grundlage zum Erhalt und Nutzbarmachen von regionalem Baubestand. Der Vierseithof in Saaß kann als Role Model für einen feinfühligen Umgang mit dem Bestehenden gesehen werden: Ein aus der Zeit gefallener Bautypus wurde zeitgemäß wiederbelebt. Das hier angewandte Raumkonzept bietet einen verfolgenswerten Ansatz, der auch für andere ungenutzte landwirtschaftliche Strukturen im ländlichen Raum anwendbar ist. Durch die architektonische Weiterentwicklung des Vierseithofs kommt heute die gesamte Bauherrenfamilie gerne und sogar öfter als zuvor hierher. Auch die Kinder sind nun gerne wieder mit dabei und feiern hier sogar ihre Geburtstagspartys, wie Bauherr Ulrich erzählt. Ihr erweitertes Wochenendhaus in Saaß ist dabei noch keineswegs abgeschlossen: Weitere Pläne für die Werkstatt im Trakt neben dem neuen Wohnraum werden bereits geschmiedet.

Eigentümer: Elisabeth Hemelmayr und Ulrich Stöckl
Planung: ARCHITEKTURKONSULAT | Architekten Kilian Mattitsch & Walter Kräutler 
Autorin: DI Alexandra Ullmann
Fotos: Wolfgang Spekner
Winteraufnahmen: David Schreyer