EIN GUTSHOF – Voller Überraschungen

Nördlich der Donau, am Fuße der sanften Hügelkette des Wagram liegt Großriedenthal. Neben charmanten Kellergassen und regional typischen Winzerhöfen birgt die Weinbaugemeinde auch ein imposantes Gehöft aus dem Mittelalter mit einem kleinen, feinen Museum darin.

EIN GUTSHOF – Voller Überraschungen

Nördlich der Donau, am Fuße der sanften Hügelkette des Wagram liegt Großriedenthal. Neben charmanten Kellergassen und regional typischen Winzerhöfen birgt die Weinbaugemeinde auch ein imposantes Gehöft aus dem Mittelalter mit einem kleinen, feinen Museum darin. Will man zum so genannten Schoberhof gelangen, orientiert man sich am besten an der Kirche des Ortes. Schräg gegenüber steht ein großer Kastanienbaum, neben ihm fällt eine schmale Gasse zur unteren Hauptstraße ab. Eng an diese geschmiegt, befindet sich das schmale Straßenportal mit dem charakteristischen Auge über dem Tor, das viele bäuerliche Anwesen ziert.

Hinter Türen und Toren verstecken sich oft Geheimnisse und manchmal sind diese verschlossenen Pforten nur durch eine Zauberformel zu öffnen, wie zum Beispiel bei „Alibaba und die 40 Räuber“ mit: „Sesam öffne dich“. Hier ist das nicht der Fall, es genügt sich anzumelden und zur vereinbarten Zeit dort zu sein, um vom freundlichen Hausherren empfangen und hineingebeten zu werden. Das erstmals 1570 erwähnte Gebäude war ursprünglich ein Rittergut aus dem 12. Jahrhundert, das in der Renaissancezeit dem neuen Geschmack angepasst und nach der Gegenreformation um 1640 zu einem Großbauernhof umfunktioniert wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Anwesen kaum modernisiert und noch bis 1966 bewirtschaftet. Danach stand es lange Zeit leer, weshalb von der alten Bausubstanz viel erhalten blieb.

Hereinspaziert
Tritt man durch das obere Tor (ein weiteres befindet sich an der Scheune), so gelangt man in eine gewölbte, zum lang gestreckten Hof hin offene Eingangshalle, in der allerlei historische Gerätschaft von der Landwirtschaft anno dazumal kündet. Linkerhand zweigt jäh der Einstieg in den Weinkeller ab. Dem über 40 Meter langen, aus dem Lössboden geschlagenen Gang mit einem Spalier aus betagten Fässern, ist ein hoher Pressraum mit der tonnenschweren, gut erhaltenen Balkenpresse vorgelagert. Bei näherem Betrachten kann man sich gut vorstellen, wie mühsam seinerzeit das Keltern, ja, die landwirtschaftliche Arbeit insgesamt, gewesen sein muss. So musste die Presse tagelang früh bis spät von fleißigen Händen bedient werden, um die gelesenen Trauben rechtzeitig, noch bevor sie verderben konnten, zu verarbeiten.
Franz Perlaki, der das Anwesen mit seiner Familie in den frühen 90er-Jahren erworben hat, erzählt: „Wir staunten nicht schlecht, als wir hier im Weinkeller, hinter einem großen, morschen Fass verborgen, einen so genannten Erdstall fanden, wie man in dieser Gegend unbefestigte Erdgänge bezeichnet. Dabei handelt es sich um einen alten Fluchtweg, der in Zeiten von Not und Bedrängnis sicher oft benutzt wurde, denn im Laufe der Jahrhunderte musste sich die hier lebende Bevölkerung immer wieder vor eindringenden Armeen aus aller Herren Länder schützen.“

77 Räume und ein Wohncontainer
Von der Straßenseite gänzlich unvermutet, hat das Gehöft beeindruckende Ausmaße: an die 800 m² verbaute Fläche, davon die Hälfte zweigeschoßig, 77 Räume unter einem 1.200 m² großen Dach, dazu sieben Kellerräume. Blickt man vom Hof aus auf den schmalen, zweigeschoßigen Quertrakt, so schließen rechts davon ein ebenso hoher Längstrakt mit Renaissance-Stiegenhausturm der etwa die halbe Hoflänge einnimmt, und eine an der Grundstücksgrenze verlaufende Mauer mit Zierturm an. Perlaki: „Anfangs wollten wir das ehemalige Hauptgebäude nach heutigen Standards bewohnbar machen. Wir planten eine Zentralheizung und hatten schon die Leitungen verlegen lassen, aber der Anblick der aus der Wand ragenden Rohre war unerträglich. So setzte sich allmählich eine andere, bessere Idee durch. Das alte Haus sollte seinen Charakter behalten, ein zeitgemäßes in der Scheune entstehen.“
Bei der anschließenden behutsamen Restaurierung traten immer wieder überraschende Details zu Tage. So fanden sich etwa an der Außenfassade ein illustres Wappen unbekannter Herkunft, elegante Sgraffitifassungen aus der Renaissancezeit und so genannte „Laufende Hunde“ – girlandenartige Seccomalereien übermalt von 20 bis 50 Kalkschichten. In einem Zimmer, welches damals wahrscheinlich ein sakraler Raum oder eine Kapelle war, kamen unter der abbröckelnden Kalkfarbe florale und figurale Malereien aus dem 16. Jahrhundert zum Vorschein. Aus den ehemaligen Stallungen an der gegenüber liegenden Längsseite des Hofes entstanden nach und nach Werkstätten und Lagerräume. Das untere Ende des Gevierts wird von der um 1900 errichteten Scheune abgeschlossen. In ihrem Dachboden ist der 66 m² große „Wohncontainer“ der Eigentümer eingebaut, eine Niedrigenergie-Wohnung, die seit 2009 ganzjährig bewohnt wird. Sie ist nicht nur komfortabel und modern, sondern fügt sich auch mit dem von außen sichtbaren Bereich harmonisch in das Gesamtambiente des alten Innenhofes ein. Es erforderte allerdings so manche kreative und knifflige Lösung – Balken wurden versetzt und unterfangen und eine Konstruktion aus Leimbindern errichtet – bis es endlich soweit war. Das Museum der einfachen Dinge
Ein kurzer Blick in seine Wohnung, dann begleiten wir den Hausherrn auf eine Führung durch die musealen Räume des Hofes, der teilweise wieder auf den ursprünglichen Zustand des Rittergutes zurückgebaut wurde. Dabei geht es ständig treppauf, treppab. Zahlreiche Niveauunterschiede gibt es hier nicht nur zwischen den Geschoßen, sondern auch innerhalb eines Stockwerkes. Sie erzählen von den häufigen Um- und Zubauten im Laufe der Geschichte des Hauses, bei denen sagenhaft viele verwinkelte Räume entstanden – eine Zimmerflucht, in der man sich leicht verirren kann.
Die ganz alten, dem Straßenportal zugewandten Räume im Längstrakt sind bis heute nicht elektrifiziert, hingegen sorgfältig in einen möglichst originalgetreuen Zustand versetzt worden. Wozu auch stilgerechtes Mobiliar gehört, das teils aus Spenden stammt oder unter den im Haus vorgefundenen Gerümpelbergen entdeckt wurde. Einige wertvolle Stücke sind Leihgaben.
Zwischendurch gibt es auch immer wieder kleine Exkurse in die Vergangenheit des Hauses – die hier ausgestellten Gegenstände sind dafür stumme Zeugen. Als die Familie Perlaki 1995 mit der Restaurierung des Hauses begann, fand sie, über das Anwesen verstreut, vieles aus dem historischen bäuerlichen Alltag, das erhalten werden sollte und heute den hauptsächlichen Bestand des im Jahr 2001 gegründeten „Museums der einfachen Dinge“ bildet.
Auf der anderen Seite des Hofes, im umgebauten Stroh- und Heuboden über den ehemaligen Stallungen sind vorrangig Haus- und Arbeitsgeräte, aber auch andere Dinge des alltäglichen Gebrauchs wie Gebetbücher und Möbel ausgestellt. Besonders eindrucksvoll ist die große, vom Hausherren über Jahrzehnte angelegte Sammlung von historischen Sperrvorrichtungen, Schlössern und Schlüsseln.  Bei einigen dieser kunstvoll in Handarbeit entstandenen und mit trickreichen Vorrichtungen versehenen Einzelstücke gilt es zunächst einmal herauszufinden, wie und vor allem wo, sie überhaupt bedient werden müssen.
Ebenfalls sehr umfangreich ist die Kollektion an Küchenutensilien, darunter unzählige Messer, Scheren und Beile, jeweils für eine spezielle Funktion und in der Regel sehr schön ausgeführt. Dazwischen finden sich auch ein paar skurrile Vorrichtungen seinerzeitiger Gerichtsbarkeit, deren genaue Funktion man lieber nicht wissen will.
Im Dachgeschoß des Straßentraktes kann der geneigte Besucher eine Auswahl an Objekten aus der präkolumbianischen Ära Lateinamerikas besichtigen. Es handelt sich hierbei um eine Leihgabe von Ing. Kurt Stepke, der viele Jahre in Ecuador tätig war. Es gibt interessante Figuren und Gegenstände aus so genanntem „pflanzlichen Elfenbein“, das aus den Samen einer Palmenart – der Tagua Nuss – gewonnen wird.
Franz Perlaki selbst war sechs Jahre lang in Afrika (Uganda, Ghana, Tansania) als Entwicklungshelfer tätig. Zur Erinnerung hat er im Dachboden über den Stallungen ein kleines Afrikamuseum eingerichtet. Eine Besonderheit sind die antiken Goldgewichte. Dabei handelt es sich um verschieden große Bronzefiguren und –objekte, die als Vergleichsgewichte für den Handel mit Goldstaub, der in vielen Regionen Afrikas als Zahlungsmittel verwendet wurde, dienten.
Im ehemaligen Schweinestall residiert heute eine Bildergalerie mit Werken verschiedener Stilrichtungen und dem Schwerpunkt auf den Arbeiten des 2012 verstorbenen Malers „Miklós Németh“. Mit den Werken des ungarischen Künstlers, der sich hauptsächlich auf die Themen Natur, urbane Landschaften, weibliche Körper und Szenen aus dem Arbeitsleben konzentrierte, wird ein perfekt passender Bogen zum Ort, sowie den anderen Ausstellungsobjekten hergestellt.

Soviel zu sehen
So viele Eindrücke. Wer kommt um zu entdecken, braucht daher auch viel Zeit. Anlass dazu bieten die mehrmals jährlich stattfindenden „Offenen Tage“ wie „Weinfrühling“, „Weinherbst“ und „Lange Nacht der Museen“. Bei dieser Gelegenheit erhalten auch KünstlerInnen die Möglichkeit zur Ausstellung ihrer Werke in den historischen Räumlichkeiten.