IM STOCKKASTL VON DROSENDORF – wo einst gebetet und gebüßt wurde

Auf dem Schlossplatz, der die höchste Erhebung des von der Stadtmauer umgebenen Geländes einnimmt, befindet sich ein zweistöckiges Haus, das so genannte Stockkastl. Auf den ersten Blick karg und kompakt, erinnert es an einen Schütt- oder Troadkastn.

IM STOCKKASTL VON DROSENDORF – wo einst gebetet und gebüßt wurde

Bei einer Entdeckungsreise durch das geheimnisvolle nördliche Waldviertel, erreichen wir die nahe zur Tschechischen Republik gelegene malerische Stadt Drosendorf. Auf dem Schlossplatz, der die höchste Erhebung des von der Stadtmauer umgebenen Geländes einnimmt, befindet sich ein zweistöckiges Haus, das so genannte Stockkastl.

Auf den ersten Blick karg und kompakt, erinnert es an einen Schütt- oder Troadkastn. Und tatsächlich wurde es in seiner langen und wechselhaften Geschichte auch als Getreidespeicher genutzt. Wie die ausführliche architektonische Spurensuche ergab, handelt es sich aber ursprünglich um die ehemalige Martinskirche aus der Gründungszeit der Marktsiedlung. Bereits im 15. Jahrhundert wurde dann auf dem Hauptplatz eine neue, größere Kirche errichtet, so dass das Stockkastl ab dieser Zeit für weltliche Zwecke zur Verfügung stand. So diente es zunächst als Wirtschaftsgebäude, später unter anderem als Gefängnis und zwischendurch immer wieder – so auch heute – als Wohnhaus.

Tausend Jahre Baugeschichte
Zeitgenössische Quellen beschreiben die Kapelle von Drosendorf so eindrucksvoll und die Umgebung beherrschend, dass frühere baugeschichtliche Forschungen hier von den Resten einer Burg ausgingen. Nachweislich handelt es sich beim Gebäude aber um das sakrale Zentrum der mittelalterlichen Siedlung. Aus dem erhaltenen Gebäudeteilen der Gründungszeit lässt sich ein romanischer Saalbau mit einem angeschlossenen halbkreisförmigen Raum, der Apsis oder Apside (altgriechisch = Gewölbe) ableiten. Mit Ausnahme der straßenseitigen Westmauer und des östlichen Giebels blieb die Substanz der rund 20 m langen Halle bis heute erhalten. In der Spätgotik, im 15. Jhd.‚ wurde dann auf dem ursprünglich zweigeschoßigen Bau ein weiteres Geschoß errichtet, das teilweise aus wieder verwendeten Steinen des Altbestandes besteht. Bis zur Entweihung gab es übrigens nur eine flache Holzdecke, die imposanten Gewölbe wurden erst später hinzugefügt.
Neben vielen anderen baugeschichtlich interessanten Details sind der teilweise erhaltene gemauerte Rundbogen neben dem heutigen Eingang und die zwischen dem 1. und 2. Obergeschoß existierenden Reste romanischen Mauerwerks mit Putzresten aus der gleichen Epoche erwähnenswert. Die Apsis ist im Gegensatz zur Halle nicht mehr in der ursprünglichen Höhe erhalten, das Dach wurde im 19. Jahrhundert verändert und es fehlt auch das dazugehörende Gewölbe. Es wurde statisch durch einen Bogen ersetzt, der von zwei Pfeilern getragen wird. Im Inneren der Apsis zeugen noch Spuren von Fresken von der
alten Martinskapelle.
Reste der originalen mittelalterlichen Fenster sind bis heute zu finden, doch sorgen jetzt zwei vermutlich erst um die Mitte des 15. Jhds. eingebaute Öffnungen für Belichtung. Dank der herausragenden Lage und der ursprünglich großen Anzahl an Fenstern bedeutete die Rundapsis für die Marktsiedlung ein unverwechselbares Kennzeichen, das von der östlich vorbeiführenden Straße aus bestens zu sehen war. Die einst so prominente Lage des Gebäudes lässt sich heute aber nur mehr erahnen, da das schräg gegenüber gelegene mächtige Renaissanceschloss zu allererst die Blicke der Besucher auf sich lenkt.

Neuzeitlichen Umbautätigkeit
In der Literatur wird häufig die Einrichtung eines herrschaftlichen Gefängnisses im 18. Jahrhundert hervorgehoben. Früheren Nutzungen als Wirtschafts- und Wohngebäude mitsamt den dafür notwendigen architektonischen Veränderungen geraten so ins Hintertreffen. So ist etwa an der südlichen Längsfassade des Stockkastls deutlich zu erkennen, dass im Zuge der damaligen Umbauten zwei ältere Toreinfahrten verschlossen wurden. Auf diesen älteren barocken Ausbau gehen auch größere Teile des Verputzes zurück. Oberhalb des Portals bestehen sogar noch Reste einer Sonnenuhr, die teilweise von einem Zellenfenster durchbrochen ist. Die heute erhaltene Konstruktion des ehemaligen Langhausdaches stammt vermutlich ebenfalls aus der ersten barocken Bauphase am Ende des 17. oder der 1. Hälfte des 18. Jahrhunderts.
Für die Einrichtung des Gefängnisses wurden das Erdgeschoß sowie das erste Obergeschoß in gewölbte Gänge und Räume aufgeteilt. Im Erdgeschoß befanden sich die Verwaltungs- und Wirtschaftsräume, darüber liegend die Zellenräume, deren kleine Fenster sowie die innen mit Eisenblech beschlagenen Zellentüren durchwegs noch erhalten sind. Die Türen öffnen sich zu einem Mittelgang, der an zwei Stellen mit Gittern abgesichert werden konnte.An diesen Eisenkonstruktionen befinden sich Schmiedezeichen aus den 1820-er Jahren. Vom Graslheurigen zur Rettung eines Baudenkmals
Beim Kaffee in der von den Gewölben dominierten Küche, erzählt uns Wilhelm-Christian Erasmus, der Eigentümer des Stockkastls, in launiger Stimmung wie er diesen so einzigartigen Platz zum Leben gefunden hat. Damals in den ausklingenden 80ern plante er zunächst eine Wohnung in Wien zu kaufen, ehe er es
sich anders überlegte und die vorhandenen Mittel lieber für ein Haus mit Charakter und Geschichte aufwendete.
Aber wieso ausgerechnet hier in einer der abgelegensten Ecken knapp am Eisernen Vorhang? „Ganz einfach — damals arbeitete ich in Wien und es gab eine direkte Zugverbindung über Retz hierher.“
Dabei handelt es sich interessanterweise um eine der streckenweise steilsten Normalspurstrecken Österreichs. Der reguläre Passagierverkehr wurde zwar 2001 eingestellt, während der Sommermonate kann man aber an den Wochenenden mit dem Nostalgiezug „Reblaus-Express“ weiterhin per Bahn nach Drosendorf gelangen – ein heißer Tipp besonders für Radfahrer und Wanderer.

„Ich habe das Haus in einem Zeitungsinserat entdeckt und wusste sofort nach der ersten Besichtigung: Das ist es! Allerdings dauerte es eine ganze Weile bis ich dieses baugeschichtliche Juwel erwerben konnte. Es gab noch andere Interessenten und auch Ideen zur weiteren Nutzung des Gebäudes. Die bizarrste
war vermutlich der so genannte Graselheurige, benannt nach dem Räuberhaupmann Grasel, der mit seiner Bande im 19. Jhd. die Region unsicher machte. Für die Errichtung dieser Touristenfalle wäre der Charakter des Gebäudes völlig zerstört worden. Zum Glück kam es aber nicht dazu, weil ich gerade noch rechtzeitig den Kaufvertrag ausfüllte.“

Jeden Raum einzeln erwohnen
Schlendert man jetzt durch das Stockkastl, so findet man allenthalben Zeugen früherer Epochen, stilvolle Einrichtungsgegenstände und interessante Kunstwerke, darunter viele sakrale wie z.B. Heiligenstatuen. Beim Betrachten kommt einem unwillkürlich der ursprüngliche Verwendungszweck des Gebäudes als Kapelle in den Sinn. „Alles von Flohmärkten, Privatverkäufen und aus Sammlungsauflösungen.  Die frühere Einrichtung des Hauses war beim Kauf kaum mehr vorhanden, in Folge des Leerstandes hatten sich wohl die meisten Gegenstände in Luft aufgelöst …“.
Die heutige Infrastruktur mit Kachelöfen, Zentralheizung, Wasserleitungen und zeitgemäßer Elektroinstallation wurde ebenfalls vom jetzigen Eigentümer hergestellt. Vieles davon in Eigenregie. „Als ich das Haus kaufte, gab es nur ein elektrisches Licht und eine Steckdose. Für die Renovierungsarbeiten und sanften Umbauten mussten wir in der ersten Zeit Verteilersteckdosen an fliegend verlegten Kabeln benutzen und die schon mit 500 Watt überlasteten Sicherungen brannten ständig durch. Nach und nach haben meine Familie und ich jeden Raum adaptiert und sozusagen einzeln erwohnt.“ Eine weitere Passion des Hausherrn ist der Filmclub Drosendorf, der monatlich im nahegelegenen Gasthaus Filmvorstellungen veranstaltet, während des Sommers mitunter
auch in dessen Hof und beim alten Thayaflussbad. Auch hier geht es um die Weiterführung einer kulturellen Einrichtung um sie auch künftigen Generationen zugänglich zu machen.

Den Abschluss unserer Führung macht die Besichtigung der Apsis. Sie ist zwar unvollständig, im Obergeschoß finden sich aber noch Reste von Fresken und Reliefen aus der Frühzeit des Gebäudes und vielerlei Spuren, die auf die erste Funktion des Gebäudes hinweisen. In dieser geschichtsträchtigen Atmosphäre lässt es sich mit etwas Phantasie in die mittelalterliche Welt eintauchen. Als wir bereits den Rückzug antreten, weist uns Herr Erasmus noch auf die Kulturdenkmal-Tafel an der Fassade hin: „Selbstverständlich ist das Stockkastl längst denkmalgeschützt. Das an der Fassade angebrachte Schild habe ich aber selber auf einem Flohmarkt erworben und dort montiert.  Voller Stolz auf dieses baugeschichtlich wertvolle und schützenswerte Haus.“