Magazinbeitrag

Elemente der Baukunst

die vielen Dinge des Lebens

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Fleißige Baumeister
So wie Menschen leben auch Tiere in ganz verschiedenartigen Behausungen: Füchse haben einen Bau, Rehe ein Bett, Biber eine Burg, Schnecken ein Haus, Ameisen einen Hügel, Bären eine Höhle, Vögel ein Nest, Bienen einen Stock. Die meisten Wohnungen werden von den Tieren in mühevoller Kleinarbeit aus Zweigen, Gräsern und Moosen selbst hergestellt. Vögel verwenden zum Auspolstern des Nests auch die eigenen Federn, Wespen zerkauen Holz und nutzen ihren Speichel als Kleber. Bienen bauen ihre sechseckigen Waben aus Wachs, das sie aus bestimmten Drüsen an ihrem Hinterleib ziehen. Die Nester der meisten Vogelarten dienen dem Schutz ihres Nachwuchses, die gemuldete Form hat vor allem den Zweck, die Eier am Fortrollen zu hindern und den geschlüpften Küken Nestwärme zu spenden. Neben den Nestbrütern gibt es aber auch Vögel, die in Baumhöhlen wohnen, z.B. die Buntspechte, die mit ihren Schnäbeln – im Frühling nicht zu überhören – Löcher in die Stämme klopfen, um darin die Jungvögel aufzuziehen und ihnen einen fuchssicheren Schlafplatz zu bieten. Doch nicht alle Tiere haben oder brauchen eine Behausung: Es gibt auch solche, die ohne Wohnung durchs Leben ziehen. Zu ihnen gehören z. B. Haie, Flusspferde, Giraffen und Elefanten.

Das eigene Haus am Körper
Manche Tiere benötigen keine Wohnung, weil sie ständig unterwegs sind, andere wiederum tragen ihr Haus ständig mit sich. Und dieses ist meist auch noch besonders schön – die Schneckenhäuser zum Beispiel, die immer spiralig gewunden sind und in ihren Farbkompositionen und Anwachsstreifen oft wahre Schmuckstücke sind. Bei den meisten Schneckenarten ist das Gehäuse rechtsgewunden, aber es gibt auch Ausnahmen. Linksgewundene Weinbergschnecken werden dann gerne als „Schneckenkönige“ bezeichnet. Während weichteilige Landbewohner meist recht kleine Häuser mit sich tragen, entwickeln Meeresschnecken oft größere Rückzugsräume. So wie die (im Meer zwischen Indonesien und Australien lebende) Große Rüsselschnecke, deren Gehäuse einen Meter Höhe erreichen kann. Andere Weichtiere – die Muscheln – leben in zweiklappigen Schalen, die wir wegen ihrer Formen- und Farbenvielfalt gerne an den Stränden aufsammeln. Muscheln können ihre beiden Schalenhälften durch einen inneren Schließmuskel zusammenziehen und öffnen; sie ernähren sich meist von winzigen Organsimen (Plankton), die sie mit ihren Kiemen aus dem Wasser filtern. Die Schale der Auster mag nicht die schönste Behausung sein, dafür produziert sie in ihrem Inneren Perlen und Perlmutt, deren Glanz die Menschheit seit jeher betörte. Im Gegensatz zu Muschelschalen und Schneckenhäusern, die oft zart und zerbrechlich sind, verfügt die Schildkröte über einen knochenharten Panzer. Droht Gefahr, zieht sich etwa die Breitrandschildkröte in ihr Haus zurück und verschließt es mit ihren kräftig beschuppten Vorderbeinen. Schildkröten sind trotz vielfältiger Bedrohungen durch den Menschen wahre Überlebenskünstler: seit 250 Millionen Jahren leben sie in fast unveränderter Form auf unserem Planeten.

Wabenbaumeisterinnen
Zu den eindrucksvollsten Baumeisterinnen des Tierreichs zählt die Biene. Ihr „Bautrieb“ und die geometrische Exaktheit und Ökonomie der Wabenform hat schon den Astronomen und Mathematiker Johannes Kepler in seinen Bann gezogen, als er über die Sechseckform in der Natur (z.B. bei der Schneeflocke) nachdachte. Die konstruktiven Vorzüge von Zellstrukturen aus sechseckigen Waben haben im 20. Jahrhundert auch den baulichen Ehrgeiz der Menschen beflügelt. Wabenkonstruktionen kommen aufgrund ihrer ausgezeichneten Statik überall dort zum Einsatz, wo geringer Materialverbrauch, große Leichtigkeit und hohe Formstabilität gefragt sind, etwa im Boots- oder Flugzeugbau. Doch die Vorbildwirkung der Baukunst von Tieren ist mit geometrischen Sonderleistungen wie der Schnecken- oder Wabenform längst nicht erschöpft. Gewiss: Tiere bringen die erstaunlichsten Behausungen hervor; aber im Gegensatz zu uns Menschen gehen sie mit den natürlichen Ressourcen nicht verschwenderisch um, und die verwendeten Baumaterialien sind Teil eines natürlichen Kreislaufes und alles andere als ein „Umweltproblem“.

Autorin: Mag.a Dr.in Gabriele Kaiser