Zweckbestimmte Dinge
Wo man hinschaut, überall Zeug – nicht alles davon ist unnütz. In unseren Häusern und Wohnungen häufen sich durchaus brauchbare Dinge: solche, die andauernd verwendet werden und solche, die selten oder nie im Einsatz sind. Letzteres trifft sogar auf Gegenstände zu, deren Nützlichkeit kaufentscheidend war. In jedem Haushalt befinden sich derartige „nützliche Helfer“, die es aus unterschiedlichen Gründen nicht geschafft haben, Teil der täglichen Routinen zu werden. Zu kompliziert, zu spezialisiert, nicht handlich genug etc. Tadellos funktionstüchtig stehen sie in ihrer Verpackung herum, bis sie irgendwann endgültig verräumt oder abgegeben werden, in der Hoffnung, dass die (neuwertigen) Gegenstände anderswo doch noch ihren Sinn erfüllen. Neben diesen hoch spezialisierten Artefakten, die wir selten oder nie verwenden, gibt es auch Dinge, die sehr häufig und über lange Zeit in Gebrauch sind. Meist erfüllen sie ihre Bestimmung über den gesamten Lebenszyklus hinweg: der Kochtopf bleibt Kochtopf, der Sessel Sessel, der Wäschekorb Wäschekorb. Und dann wieder tritt der Fall ein, dass Gegenstände aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang gelöst sind und Zwecke erfüllen, für die sie eigentlich nicht gedacht waren. Solche Umnutzungen geschehen täglich, indem man z.B. die Zeitung, die man (nicht) gelesen hat, Wochen später zum Fensterputzen verwendet. Manchmal ist die Umnutzung spontan und singulär (wenn man z.B. den Nagel mit einem soliden Schuh in die Wand schlägt), manchmal wird ein Provisorium zum bleibenden Einrichtungsgegenstand (wenn man sich z.B. an Paletten-Möbeln versucht). Auch Gegenstände mit präziser Zweckbestimmung können also ungeplante bzw. ungeahnte Funktionen erfüllen und in einen produktiven Recycling-Kreislauf (Up- und Downcycling) eingehen.
Mehrzweckdinge und Raum
Ist es eine gute und nachhaltige Idee, sich mit Dingen zu umgeben, die für mehrere Zwecke gemacht sind? Die Designgeschichte der Moderne ist reich an Ideen für platzsparende und multifunktionale Möbel: vom Klappbett, das tagsüber in der Schrankwand verschwindet, bis zum faltbaren Couchtisch, in dem ein großer Esstisch „schlummert“. Die raumökonomischen Einrichtungsvorschläge von Anton Brenner für Gemeindewohnungen der Zwischenkriegszeit und der Bauhaus-Architektengemeinschaft Friedl Dicker und Franz Singer für Kindergärten und Wohnhäuser sind zurecht bis heute vorbildhaft. Ebenso wie Margarete Schütte-Lihotzkys 1926 entworfene „Frankfurter Küche“, der Urtyp aller Einbauküchen. Der Entwurf dieser Küche ist nicht nur ein vielfach bestauntes Raumwunder, sondern auch ein Musterbeispiel an kluger Anordnung und funktionaler Optimierung der einzelnen Funktionen. Gerade wenn wenig Platz zur Verfügung steht, wie etwa in den heutigen winzigen „Smart-Wohnungen“, bewährt sich die Praktikabilität der Dinge vor allem in der ausgetüftelten zweckmäßigen Anordnung der einzelnen Komponenten zueinander.
Auch im Materialeinsatz war die Frankfurter Küche ihrer Zeit weit voraus. Auf die damals begehrten Kunst- und Verbundstoffe wurde bewusst verzichtet, es kamen ausschließlich verschiedene Hölzer und Metalle zum Einsatz. Zugegeben: Damals war eine solche Entscheidung noch nicht mit einer Kostensteigerung verbunden. Aber angesichts der ehrgeizigen Nachhaltigkeitsziele der Gegenwart sollten die Kreislauffähigkeit und die sortenreine Trennbarkeit der Werkstoffe nicht nur im Bauwesen, sondern auch im Einrichtungsbereich vermehrt in den Blickpunkt rücken.
Viele Dinge
Über die brauchbaren und unnützen Gegenstände, mit denen wir uns umgeben, lässt sich jedenfalls sagen, dass es meist zu viele sind. Allen ist das bewusst und überall stößt man auf Ratgeber mit der Empfehlung von mindestens 50, 100 oder 500 Dingen, die man „sofort ausmisten“ könne.
Man kann es aber auch behutsamer angehen und bei den eigenen Gegenständen anfangen, eine andere Ökonomie und eine bewusstere Haltung gegenüber der Welt insgesamt einzuüben. Welche Dinge werden immer meine Begleiter sein? Wer könnte dies und das noch brauchen, auf welche Weise könnte dieses und jenes einen anderen Zweck erfüllen? Was ließe sich reparieren, umbauen und sinnvoll weiterverwenden? Wer schnell ausmistet, will vielleicht nur schnell Platz für neues Zeug schaffen.
Autorin: Mag.a Dr.in Gabriele Kaiser
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