Verbundwerkstoff
Nicht nur Smartphones und Computer sind komplexe Gebilde aus verschiedenen Bestandteilen und Materialien, auch Häuser bestehen häufig aus einer kaum überblickbaren Mischung ineinander geschraubter, gegossener und verklebter Elemente. Die Bauindustrie hat seit der industriellen Revolution, aber vor allem im 20. Jahrhundert eine Fülle an Verbundwerkstoffen hervorgebracht, die sich zum Ziel setzten, die positiven Eigenschaften von mindestens zwei Materialien zu vereinen. Prominentestes Beispiel eines Verbundwerkstoffs mit globaler Erfolgsgeschichte ist Beton. Er besteht aus Wasser, Zement (als Bindemittel) und Zuschlagstoffen wie Sand und Kies. Um die Zugfestigkeit dieses druckfesten Baumaterials zu erhöhen, werden gerillte Bewehrungseisen eingelegt, die sich beim Aushärten des Betons nahezu untrennbar mit dem Zement-Sand-Gemisch verbinden. Die wirtschaftlichen und hochleistungsfähigen Verbundwerkstoffe, die sich ohnehin nicht durch höchste Umweltfreundlichkeit auszeichnen, werden spätestens beim Abbruch von Gebäuden zum Problem, da sie nur mit großem Aufwand recycelt oder wiederverwendet werden können. Manche Komplettsysteme für Wärmedämmung, die wir in den letzten Jahren bereitwillig an die Fassaden klebten, werden nach Ablauf ihrer Lebensdauer als Sondermüll entsorgt werden müssen. Doch allmählich setzt auf breiter Basis ein Umdenken ein: Die Kreislauffähigkeit von Materialien ist eines der großen Themen der „Bauwende“, die es sich angesichts der prekären Lage des Planeten zur Aufgabe gemacht hat, den gesamten Bausektor ressourcenbewusster und klimafreundlicher zu gestalten.
Wenige, trennbare und schadstofffreie Materialien
Dieses Ressourcenbewusstsein setzt nicht erst beim Umbau oder Abbruch eines Hauses ein, sondern schon bei seiner Planung. Dabei gelten drei (nur auf den ersten Blick einfache) Grundregeln: Je weniger unterschiedliche Materialien in einem Gebäude verbaut werden, desto weniger unterschiedliche Entsorgungswege fallen später an. Sind zudem die verwendeten Materialien und Materialverbindungen leicht aus dem Bausystem zu lösen, erhöht das die Wahrscheinlichkeit auf eine sortenreine und rückstandsfreie Trennung. Je sortenreiner Materialien getrennt werden können, desto größer wiederum die Chance, sie wieder in einen neuen Nutzungszyklus einzubinden. Durch den bewussten Einsatz von schadstofffreien, recyclefähigen Baustoffen kann der Materialkreislauf verlängert werden. Dabei ist die „Recyclingfreundlichkeit“ einzelner Gebäudeelemente oder Materialien nicht nur als Ausdruck eines gestiegenen Umweltbewusstseins zu verstehen. Ressourcenschonung im Materialeinsatz sollte sich in einer gesamtheitlichen Betrachtung auch finanziell lohnen – in der Praxis ist das bis heute noch nicht der Fall. Zahlreiche zeitgenössische Architekturprojekte wie z.B. die Stampflehmhäuser von Andi Breuss, die mit der Leistungsfähigkeit von homogenen, leicht trennbaren und schadstofffreien Materialien experimentieren, belegen, dass die Rückbesinnung auf einfachere Bausysteme keineswegs mit einem Komfortverlust verbunden sind.
Von der Wegwerf- zur Wiederverwendungsgesellschaft
Nicht nur nichtkreislauffähige Werkstoffe sind das Problem, in der Vergangenheit wurden auch zu viele Bestandsgebäude sorglos durch Neubauten ersetzt. Zahlreiche Initiativen in der Baubranche sprechen sich heute – im Rahmen sogenannter „Abriss-Moratorien“ – bewusst für den Erhalt und den Umbau bestehender Gebäude aus, auch wenn diese keine kunsthistorischen Baudenkmale sind. Jedes schon bestehende Gebäude hat einen Wert, sagen sie, schon allein aufgrund der darin enthaltenen „grauen Energie“.
Damit ist jene Energie gemeint, die von der Rohstoffgewinnung, zur maschinellen Herstellung, zum Transport und Einbau bis hin zur Entsorgung eines Produkts aufgewendet werden muss. Es spricht also vieles dafür, eine schon gebaute Umwelt als Materialressource für neue Nutzungen zu sehen. Ob uns die Transformation von einer Wegwerfgesellschaft in eine Wiederverwendungsgesellschaft gelingen wird? Der Innovationsschub im Werkstoffbereich und ein steigendes Bewusstsein für Materialkreisläufe sind eine gute Basis. Aber Hand aufs Herz: wie oft werfen wir im Alltag Dinge weg, die eigentlich repariert werden könnten?