Sichtbeton(t)

Vorstadthaus in Korneuburg

Sichtbeton(t) – Vorstadthaus in Korneuburg

Der erste Eindruck kann täuschen – so ist es auch bei einem Korneuburger Vorstadthaus aus dem Jahr 1910, das straßenseitig zunächst einmal nicht besonders spektakulär wirkt.

Es kam 1966 in den Besitz der Familie der jetzigen Eigentümerin, die als Kind hier sehr oft ihre Großeltern besucht hat. „Wir wollten die Erinnerung nicht abreißen“, sagt sie. „Aber auch kein Museum daraus machen.“ Also blieb vorne alles wie gehabt. kann.

Monolith als Schlüssel
Wenn ein Architekt das Haus gestaltet, in dem er selbst wohnt, dann zeigen sich seine planerischen Ideen in Reinform. Die sieht man vom Garten aus. Hier spielt sich die volle Dynamik moderner Architektur ab – mit einem angesetzten kubischen Betonkörper, der mit seiner innenliegenden Glasfront wie ein Bildschirm wirkt – modern, urban, direkt: Sichtbeton wird zum gestalterischen Schlüssel, der das Haus mit seinen 110 Jahren vom Garten her auf ganz neue Art erschließt. Nach vorne hin wird dieses haushohe „Display“ von Glas und Stoffvorhängen begrenzt. Und während sich das Haus zu seiner Rückseite hin vertrauensvoll öffnet, verbleibt die straßenseitige Vorderfront klassisch und unangetastet, als gäbe es hier rein gar nichts zu entdecken.

Wichtige Verbindungsfunktionen
Das Konzept dahinter: Das Bestandsgebäude wurde behutsam saniert. Alle Böden wurden erneuert (geschliffener Estrich) und mit Fußbodenheizung ausgestattet. Geheizt wird mit einer Wärmepumpe. Ein kleines angebautes Badezimmer aus den siebziger Jahren wurde entfernt, hier entstand Platz für den zweigeschossigen Zubau aus Dämmbeton. Er hat wichtige Verbindungsfunktionen: Er überbrückt die beiden Geschosse des Hauses und verbindet den Wohnraum mit dem Garten. Konnte man einst den Keller nur durch den Garten erreichen, geht das heute trockenen Fußes durch den Anbau. „So hat jede Generation diesen Zubau nach ihren Bedürfnissen gestaltet“, meint Sabine Schmid.

Stilmix
Innen wurde Bauhaus-Kühle mit leichtem Fünfziger-Jahre-Mobiliar und modischen Effekten kombiniert. In einigen Räumen hat man Farben und Walzmuster von 1910 entdeckt und aufgegriffen. Im Wohnraum wurde ein Fenster der ehemaligen Außenwand zur kleinen Bar umfunktioniert, im Eingangsbereich ein Walzenmuster im alten Stil neu angebracht. Im Zubau mit einem großen Wohnzimmer und einem Esszimmer gibt es Hochflor-Teppich, Wandverkleidungen aus Eiche, den prägnanten Leinenvorhang und Sichtbetonwände. Die Bauherren haben Türen abgeschliffen und Wandvertäfelungen restauriert. So entstand ein Kontrast aus Alt und Neu, der die frühere und die heutige Nutzung des Hauses nebeneinander gelten lässt. Nahezu jede Perspektive aus dem Innenbereich hätte das Zeug zum Hintergrund eines guten Bildes.

Mehr Tageslicht im Wohnbereich
Die Glasfront hat aber auch großen Einfluss auf die Tageslichtsituation im Haus: Hier lebt man jetzt im Hellen, als befände man sich in einem modernen Neubau. Die Sonne scheint herein und wird zu einem Begleiter durch den Tag. Durch die Aussicht ergibt sich ein freies, offenes Wohngefühl in direkter Nachbarschaft zum Grün der gartenseitigen Umgebung. Der für den Zubau verwendete rein mineralische Dämmbeton hat vorteilhafte thermische Eigenschaften, die eine Wärmedämmung unnötig machen. Das Material konnte deshalb unverkleidet eingesetzt werden, „wie es ist“. Es punktet außerdem mit gutem Schallschutz, einer sympathischen Oberfläche und hoher Speicherkapazität. Hierbei wirkte sich positiv aus, dass der Bauherr als Architekt für sich selbst tätig war: So konnte verschiedenes ausprobiert werden. Außen sieht man jetzt eine Kombination aus Holzoptik und Handstocken mit anschließender Hydrophobierung. Innen hat die Eigentümerin den Beton geschliffen und zu einer tuffartigen Oberfläche verseift.

Brücke über hundert Jahre
Eine an der klassischen Moderne angelehnte Architekturauffassung zeigt sich hier auch in der teils vorgegebenen Farbwahl: Sie gibt dem ganzen Objekt jene verhaltene Eleganz, die sich mit der Erscheinung aus 1910 bestens verträgt und das Gebäude auch deswegen so gut an die Gegenwart ankoppelt. Ruhig und kraftvoll zeigt sich dieser gestalterische Zugang als kluger, dabei aber auch als selbstbewusster Weg, ein älteres Gebäude mit seiner reichen Geschichte auf eine Weise weiterzudenken, die vom Vorhandenen ausgeht und dabei auch den radikalen Eingriff nicht scheut.

Eigentümer: Sabine und DI Sebastian Schmid

Planung: Studio Hoffelner Schmid Architekten GmbH