Wir waren in Engelschalkesdorf*
Einen Ort dieses Namens sucht man heute auf einer Landkarte Niederösterreichs vergeblich. Doch bis zum Hochmittelalter hieß die an Mödling grenzende Gemeinde tatsächlich so. Eine Zeitreise in eines der ältesten Häuser von *Maria Enzersdorf.
An der Pforte des in der engen verkehrsdurchfluteten Hauptstraße gelegenen mittelalterlichen Patrizierhauses empfängt uns ein freundliches Lächeln. Eine nonchalante Geste deutet uns einzutreten und lädt zur Führung durch das liebevoll renovierte Refugium eines Musikerehepaars im Ruhestand.
Vier Baustile harmonisch vereint
Da bereits die Kelten und Römer in dieser Gegend Wein angepflanzt hatten, und viele historische Zeugnisse mit dem Weinbau in Verbindung stehen, kann angenommen werden, dass der Weinbau den Ausschlag für eine ständige Besiedelung des Marktgemeindegebietes von Maria Enzersdorf gegeben hat. Auch das erstmals 1376 urkundlich erwähnte Gebäude, von dem hier die Rede ist, war 400 Jahre lang bis zum Ende des 18. Jahrhunderts ein so genannter Weinzierlhof des Wiener Schottenklosters, das im Ort ausgedehnte Weingärten bewirtschaftete. Im Kellergewölbe des ebenerdigen Nebentraktes, der früher als Lager diente und heute im vorderen Bereich eine Einliegerwohnung beherbergt, befand sich noch bis Mitte des 20 Jahrhunderts eine Weinpresse. Neben den gotischen Elementen aus der Frühzeit sind reichlich Zeugnisse aus späteren Epochen wie Renaissance, Barock und Spätrokoko, in denen um- bzw. zugebaut wurde, erhalten. Auch die Instandsetzungsarbeiten nach Brandkatastrophen und den Beschädigungen in den Türkenkriegen wurden jeweils im dominierenden Stil der Zeit ausgeführt. Beispielsweise stammt die straßenseitige Fassade, wie sie sich heute präsentiert, aus dem Jahr 1770. Das Korbbogentor mit der Schlupftüre sowie die gesamte Torüberbauung, wurden im Rokoko errichtet. Davor existierte laut historischen Quellen nur eine einfache Tormauer.
Erwerb und Wiederherstellung
Die jetzigen Besitzer des Weinzierlhofes entdeckten dieses Kleinod an einem grauen Februartag 1980 und waren trotz seiner abgewohnten Beschaffenheit – wenig achtsame Bewohner und sieben Jahre Leerstand hinterließen ihre Spuren – sofort hingerissen. Bis zum heutigen präsentablen Zustand des Gebäudes, das auf den erst Blick fast wie ein kleines Palais anmutet, war der Weg recht weit, wie die Dame des Hauses erläutert: „Es war uns aber gleich nach der ersten Besichtigung klar, dass so eine Chance nie wieder kommen würde, daher wollten wir das Haus möglichst rasch kaufen. Zumal die Begutachtung durch einen befreundeten Architekten auf eine gute Substanz schließen lies.“
In den Jahren nach dem II. Weltkrieg sah man bei Renovierungen über historische Baustile oft geringschätzig hinweg, sie galten bloß als altmodisch. Hier zeugten vermauerte Fenster und Türöffnungen im Obergeschoß des Hauptgebäudes von einer Raumnutzung als Ordination und die strukturierte Fassade war irgendwann dem damaligen Zeitdiktat – Motto: Hauptsache praktisch – zum Opfer gefallen. Bei der Wiederherstellung war es dann sehr nützlich, dass der bekannte Kunstmaler Carlos Riefl seinerzeit Skizzen vom Original angefertigt hatte.
Bevor mit der Renovierung begonnen werden konnte, galt es zunächst aus dem Innenhof – heute ein feiner, einladender Garten – und den ebenerdigen Gebäudeteilen massenhaft Schutt (15 Container) und Gerümpel zu beseitigen. Nach und nach wurden dann die einzelnen Räume, beginnend mit dem Obergeschoß, restauriert und mit zeitgemäßer Infrastruktur ausgestattet, wobei das Projekt ohne die vielen Eigenleistungen der Hauseigner kaum realisierbar gewesen wäre.
Ein kleiner Rundgang
Wendet man sich gleich hinter dem Torbau nach rechts, so steht man zunächst vor dem ursprünglich im Freien befindlichen, später aber überwölbten Stiegenaufgang, der in die Beletage führt. Auf Höhe des Treppenantritts ist an der Außenmauer noch die ursprüngliche Eingangstüre zu bewundern. Sie wurde zufällig beim Entrümpeln entdeckt, und überrascht durch ihren bemerkenswert guten Erhaltungszustand und mit originalen Türschlössern. Im Obergeschoß angekommen, erreicht man ein großes gemütliches und in einem freundlichen Orangeton gehaltenes Wohnzimmer, von dem aus das Esszimmer und danach die Bibliothek – allesamt im straßenseitigen Quertrakt gelegen – erschlossen werden. Die in Trompe-l’œil-Technik gemalten Girlanden und im gleichen Hellblau gehaltenen Fenstereinfassungen stammen vermutlich aus dem Biedemeier.
Von imposanten Gewölben getragene Deckenkonstruktionen und Türöffnungen, an denen die massive Mauerstärke sichtbar wird, vermitteln das Gefühl von Sicherheit und Beständigkeit. Im Obergeschoß befinden sich auch vier gotische Flacherker deren Mauernische die doppelte Fensterbreite einnimmt. Diese Besonderheit erklärt sich aus der frühen Bauperiode, in der Glasfenster selten und teuer waren. Seinerzeit wurde die Fensteröffnung mit verschiebbaren Läden verschlossen.
Von der anderen Seite des großen Wohnzimmers gelangt man in das, mit einem Konzertflügel ausgestattete Musikzimmer. Der aufgrund seiner in mühevoller Kleinarbeit restaurierten Stuckdecke beeindruckende Raum bildet gleichsam den Übergang vom Quer- zum hofseitig gelegenen Längstrakt. In diesem Abschnitt befinden sich das Bad, daneben war ursprünglich ein heute verborgener Selchraum. Daran schließen eine kleine, feine, grasgrüne Schreibkammer und zwei Gästezimmer an. Der restaurierte Schreibtisch wurde vom Dachboden gerettet.
Nutzflächen und Wirtschaftsgebäude
Der zweite Bereich des Hofes umfasste seinerzeit die zur Bewirtschaftung erforderlichen Räume wie Lager, Werkstätten und Weinkeller. Im Erdgeschoß waren straßenseitig Ladenlokale untergebracht und im zweistöckigen Längstrakt gab es einen Raum der gleichzeitig als Schneiderwerkstatt und Wohnung für die ganze Familie des Handwerkers diente. Bei der Übernahme durch das Musikerehepaar lebte der betagte Herr noch hier und wusste vieles über die Geschichte des Hauses zu berichten. Ja, es gäbe noch vieles zu erzählen. An dieser Stelle können wir das nur überblicksmäßig in Form von Einblicken und Eindrücken tun. Zusammenfassend lässt sich sagen, das neben den markanten Architekturmerkmalen aus vier Epochen und den stilvollen Möbeln, es vor allem die liebevoll abgestimmten Details und so manches Kunstwerk sind, welche den romantischen Charme des Hofes ausmachen.