Alt und Neu aus einem Guss

Erweiterung eines Lehmhauses in Retzbach

ALT und NEU aus einem Guss | Erweiterung eines Lehmhauses

Das Weinviertel zählt aufgrund seiner geologischen Beschaffenheit zu jenen Gebieten Mitteleuropas, in denen Lehm ab dem Spätmittelalter das verbreitetste Baumaterial darstellte.

Es wurde entweder aus einer dorfeigenen Lehmgrube geholt, aus Hohlwegen gebrochen oder direkt am Baugrund gewonnen. In jedem Fall war es eine günstige Möglichkeit zur Herstellung von luftgetrocknetem Baumaterial. Die meisten der regionalen Streck- und Zwerchhöfe, aber auch Presshäuser und Stadel wurden in verschiedenen Lehm- bzw. Mischbautechniken hergestellt.

Erst mit dem Aufschwung der Ziegelindustrie zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurden gebrannte Ziegel, die früher nur den repräsentativen Bauten des Klerus und des Adels vorbehaltenen waren, auch für die dörfliche Bevölkerung verfügbar. Dadurch gerieten Lehmziegel in den Ruf ein „Baustoff der armen Leute“ zu sein. Seit einigen Jahren erfolgt ein Umdenken und vermehrt schätzen Planer und Bauherren wieder dieses überaus nachhaltige Material mit gutem Wärme- und Wasserdampfspeichervermögen und behaglichen wohnbiologischen Eigenschaften.

Bestand und Ausgangslage
Das hier beschriebene Haus aus der Mitte des 19. Jahrhunderts ist Teil eines Ensembles baugleicher Gebäude in einer romantischen Gasse. Die massiven Wände die auf einem Fundament aus Granitsteinen ruhen, wurden seinerzeit in der so genannten „gsatzen Lehmbauweise“ errichtet. Dabei wird der mit Stroh vermengte Lehm schichtweise mit Mistgabeln zu Wänden aufgebaut. Nach ca. 60 cm Höhe muss dieser „Satz“ vier bis zwölf Tage trocknen, danach kann die unregelmäßige Wand mit einem geschärften Spaten nach unten zur endgültigen Wandstärke – hier beträgt sie etwa 60 cm, „abgestochen“ werden. Nach einer weiteren Trocknungszeit von drei bis sechs Tagen kann der nächste Satz aufgebracht werden.

Typisch für die traditionellen Streckhöfe hier, sind die eingeschoßige Bauweise mit kleinen Kastenfenstern zur Straße hin, flankiert von einem breiten hölzernen Einfahrtstor, wodurch insgesamt ein leicht gedrungener Eindruck entsteht. Die gekalkte Fassade kommt ohne Zementputz aus und das Dach ist mit Biberschwanzziegeln gedeckt. Der Bauherr suchte und fand ein offenes Grundstück. Das darauf befindliche Gebäude weckte Erinnerungen an den Lieblingsort seiner Kindheit – eine Kegelbahn: „Der langgestreckte Hof fasziniert mich und seine Bauweise fügt sich perfekt in die Landschaft des Weinviertels.“

Sanfte Anpassung
Als seine Frau und er das Haus erwarben, war es in gepflegtem Zustand und völlig in seiner Ursprünglichkeit erhalten. Die Vorbesitzerin hatte immer sorgfältig darauf geachtet, dass ja kein Wasser in die Substanz eindrang und vermied auch jede Art von „moderner“ Sanierung mithilfe von synthetischen Baustoffen. Für den Planer galt es nun diese Vorgabe zu übernehmen und das Haus dennoch an die Ansprüche in puncto zeitgemäßes Wohnen anzupassen „Transformation von Altbestand unter Berücksichtigung seiner Ressourcen und Vorteile ist der wohl spannendste Aspekt bei der Nutzung von Bestandsbauten – einem zentralen Zukunftsaspekt im Bereich der Architektur“ erläutert Andreas Breuss, der sich vor einigen Jahren auf die Planung von Holz/Lehm-Architektur spezialisiert hat. „Was bleibt ist der Respekt vor diesem alten Lehmhaus und vor der Qualität der Bausubstanz, die glücklicherweise nie durch unsachgemäße Renovierung zerstört wurde.“
Beim Um- und Zubau wurde daher speziell auf eine nachhaltige und ökologische Bauweise geachtet und mit Materialien gearbeitet, die buchstäblich vor der Haustüre lagen. So wurde auch bei den neuen Gestaltungselementen Holz, Lehm und Kalk eingesetzt. Unbehandelt, um die besonderen Eigenschaften, wie gute Diffusionsoffenheit und Feuchtigkeitsregulierung, nicht einzuschränken.
Beim bestehenden Hauptgebäude wurden einige Fenster zu Terrassentüren umgebaut und somit neue Raumverbände sowie eine verbesserte Lichtsituation durch zusätzliche Öffnungen geschaffen. Desolate Teile der ans Wohngebäude anschließenden Werkstatträume und Lager wurden abgetragen und an ihrer Stelle ein neuer Holzzubau mit offenem Dachraum und schönen Ausblick ins Freie errichtet. Nahezu übergangslos fließen das neue Dach und der Bestand mit seiner alten Deckung ineinander.
Die Holzpfostenkonstruktion des Zubaus wurde mit sägerauen Tannenbrettern verschalt. Auf Holzwerkstoffe wurde, abgesehen von der Wärmedämmung aus Holzfaser, verzichtet. Für den Innenputz kam Lehm (im Zubau unbehandelt, im alten Haus gekalkt) zum Einsatz, für den Außenputz Kalkmörtel. Die Bodendämmung erfolgte mit Schaumglasschotter und Perlit. Im Inneren des Althauses blieben die unbehandelten Böden und die alten Holzbalkendecken mit überlappender Schalung erhalten. Ein freistehendes früheres Zugehhaus im hinteren Teil des Hofes wurde in eine teilweise offene überdachte Terrasse mit unmittelbarer Verbindung zum Haus verwandelt. Egal ob heiß, ob regnerisch, oder windig, lädt dieses Sommerwohnzimmer zum Verweilen ein. In der Übergangszeit oder an kühlen Abenden sorgt ein Holzofen für wohlige und stilgerechte Wärme. Die Stimmung hier sei einzigartig, ergänzt der Hausherr abschließend: „Seit drei Monaten freunden wir uns mit dem für uns neuen Haus und seiner außergewöhnlichen Atmosphäre an. Es steht schon seit fast 180 Jahren und wird trotz seiner einfachen Baustoffe noch lange Zeit überdauern.“

Eigentümer: Privat

Planung: Mag. Andreas Breuss MSC