Kommt man von Gmünd aus nach Weitra, so liegt knapp vor dem mittelalterlichen Stadtzentrum rechts der Bundesstraße ein durch kleine Hügel strukturiertes Gelände, das an den Weitraer Schloßberg, den Kalvarienberg und die umgebenden Wälder anschließt. Bei diesem von der Lainsitz durchflossenen Gebiet, handelt es sich um eine feuchte Niederung, wie sie im Mittelhochdeutschen als „Brühl“ bezeichnet wurde. An diesem Ort gab es schon im 13. Jahrhundert Ansiedlungen und ab dem 15. Jahrhundert gewerbliche Produktionsstätten, die allesamt die Wasserkraft des Flusses* als Quelle für mechanische Energie nutzten.
Anfangs waren es Mühlen, ein Hammerwerk und holzverarbeitende Betriebe, welche vor allem die regionale Landwirtschaft ergänzten und belieferten. Mit der rasanten Verbreitung des Buchdrucks im 16. Jhd. kam die Papierherstellung als neuer, stark florierender Geschäftszweig hinzu, von dem heute noch viele bauliche Details im so genannten Herrenhaus Oberbrühl 12 künden.
Vom Waschhaus zur Textilfabrik
Zu ihrer Hochblüte im 19 Jhd. umfasste die hier befindliche Fabrik rund 30 Bauten, von denen jetzt nur mehr das imposante Herrenhaus mit ein paar Nebengebäuden sowie das angrenzende Museum „Alte Textilfabrik“ an die einst stattliche Industrieanlage erinnern.
Dem Gebäude vorgelagert befindet sich ein von Obstbäumen umgebener Weiher, der als Fischteich genutzt wird. Der Eigentümer, ein Wiener Komponist, der das Anwesen von seinem Onkel Dr. Albert Hackl übernommen hat führt uns durchs Haus und im Eiltempo auch durch die mehr als 500 Jahre währende wechselhafte Nutzungsgeschichte.
Wir betreten die, in verschiedenen Quellen „Waschhaus“ genannte, aus Dreiviertelmeter starken Steinmauern bestehende Urzelle des im 16. Jahrhundert errichteten Baus durch den straßenseitig gelegenen Eingangsraum. Einst diente er als Durchfahrt für Kutschen und Karren in den Werkshof, nun ist er aber hofseitig vermauert, der Vorbesitzer hat ihn zur Garage umgebaut. Links und rechts davon befinden sich hier im Erdgeschoß ehemalige Lager- und Arbeitsräume, die teilweise auch für Büro- und Archivzwecke genutzt wurden. Übrigens lässt sich über die erwähnte Bezeichnung „Waschhaus“ mangels zeitgenössischer Dokumente nur mutmaßen , dass hier an der Lainsitz regelmäßig größere Mengen Wäsche – vielleicht aus dem Herrschaftsbetrieb – gereinigt wurden.
Des hochliegenden Grundwasserspiegels wegen, hat das Haus keine Unterkellerung. Stattdessen wurde irgendwann ein Erdstollen vom Eingangsraum ebenerdig in den angrenzenden Kalvarienberg getrieben, in dem man die aus dem Teich gewonnenen Eisblöcke zur Konservierung von Lebensmitteln lagerte. Schließlich gehörte zum Haus eine so genannte Schank- und Fleisch-Gerechtigkeit und auch das Bier aus dem herrschaftlichen Bräuhaus hielt gekühlt länger und schmeckte besser.
Städtischer Luxus umgeben von Arbeitsstätten
Beim Aufstieg in das Obergeschoß gibt uns der Hauseigner über die Entstehung des Herrenhauses, wie es sich in der heutigen Form präsentiert, launige Auskunft. Bis zur Mitte des 18. Jhd. haben hier die Brühler Papiererfamilien (Papiererzeuger) gewohnt. Aus ihrer gehobenen sozialen Stellung erwuchs nicht zuletzt auch zusätzlicher Raumbedarf und so wurde die bebaute Grundfläche des Herrenhauses vergrößert und das Obergeschoß mit sieben Räumen und einem Vorzimmer errichtet.
Es waren dies ein großer Tanz- und Festsaal, man lebte offenbar auf großem Fuß, drei üppig dekorierte Wohn- und Gesellschaftsräume, sowie zwei Wohnräume und eine geräumige Küche. Auch wurde für beide Geschoße ein gemeinsamer Abortstrang errichtet. Drei Räume im teichseitigen Trakt wurden mit verzierten Plafonds ausgestattet. Salon und Balkonzimmer wurden mit Rokokoelementen, das spätere „Luisenzimmer“ mit einem handgemalte Blumenmotive zeigenden Plafond ausgestattet. Im Vorzimmer befindet sich in jenem Teil, der an den Stiegenaufgang anschließt, ein Kreuzgewölbe, das vermutlich eine Verstärkung der Zwischendecke zum ersten Dachgeschoß bilden sollte. Dort war nämlich an dieser Stelle der aus Holz errichtete Warenaufzug für die Papierstapel.
Außen fällt das Gebäude durch sein charakteristisches, in sechzehn Felder gegliedertes, Mansarden-Walmdach auf. Es dürfte das einzige in Europa sein, das in dieser Form erhalten ist. Diese eigenwillige Dachkonstruktion hängt ebenfalls mit der Papiermanufaktur zusammen. Die handgeschöpften Papierbogen wurden zunächst in einer Stempelpresse von grober Feuchtigkeit befreit, um dann, im zweiten Schritt, durch Verdunsten zu trocknen. Für diesen Trocknungsprozess wurden die noch feuchten Bogen auf den beiden Dachböden aufgehängt und die im Dach eingebauten Klappen geöffnet, so dass der Luftzug hindurchstreichen und die Bogen trocknen konnte. Über der Lüftungsklappenreihe zog man mit einem schmalen, schützenden Vorsprung die Dachfläche zum First hoch. Zwei schmale, steile Treppen führen ins Innere dieser „Pagode“, in der neben vielen anderen materiellen Zeitzeugen auch noch Teile der einstigen Trocknungsgestelle, Etageren und Stellagen erhalten sind.
Um 1866/67, die veraltete Papierproduktion war längst nicht mehr rentabel, kaufte das Wiener Textilfabrikantenehepaar Heinrich und Cäcilia Hackl – Vorfahren des oben erwähnten Dr. Albert Hackl – die Gebäude und Gründe. Der Plan für die Modewarenfirma Hackl & Pollak, die bis dahin in Heimarbeit herstellen ließ, war die Papierfabrik zu einer modernen Textilfabrik um- und auszubauen. Von nun an sollten alle Produktionsabschnitte eines textilen Produktes vom Entwurf bis zum Versand an dieser Stelle konzentriert werden.
Damit einher ging auch eine Anpassung der Räume des Herrenhauses an die neuen Bedingungen. Das erste Stockwerk musste so eingerichtet werden, dass die sechsköpfige Familie Hackl hier ständig und standesgemäß wohnen konnte und auch für Gästezimmer entstand schon bald Bedarf. Daher wurde der große Tanzsaal in drei Räume geteilt und ein Empfangszimmer als Wohnschlafzimmer eingerichtet. Um einen schöneren und angenehmeren Blick auf den Teich und den Vorgarten sowie den Frauengarten zu bekommen, wurde an das neben dem Salon liegende Eckzimmer eine hölzerne, mit englischen Schiebefenstern ausgestattete Veranda angebaut. Der Dichter Robert Hamerling, ein Cousin von Cäcilia Hackl, unternahm im Spätsommer 1867 eine Reise in sein heimatliches Waldviertel und verbrachte auch einige Tage im Hause Hackl. Bemerkenswert ist jedenfalls, dass die Industriellenfamilie hier inmitten von Werkstätten und Produktionshallen mit all dem Lärm, dem unvermeidlichen Gestank der Färberei und ständigem Tamtam ihr städtisches Kultur- und Salonleben weiter pflegte. Für den heutigen Besucher geben die, mit Ausnahme der Küche, nahezu vollständig in Manier der Jahrhundertwende erhaltenen Räume einen guten Einblick, wie großbürgerliche Wohnkultur von Klassizismus bis Jugendstil aussah. Beeindruckend auch die Bibliothek aus Nussbaum im typisch englischen Landhausstil die neben vielen interessanten Bänden auch eine umfangreiche Sammlung historischer Ansichtskarten u.v.m. besitzt.
Seltsame Ereignisse und Gespenster
In einem Haus wie diesem, zählen Gespenster und Hausgeister zu den fixen Bestandteile der Ausstattung. Die davon berichtenden Spukgeschichten sind auch in der Familie Gartner, den heutigen Hausbesitzern, beliebte abendliche Unterhaltung. Eine wird seit vielen Jahrzehnten erzählt: Auf dem Rückzug der österreichischen Truppen vom Schleswig-Holsteinischen Krieg mit Preußen kam ein Regiment nach Weitra. Der Kommandant dieser Truppe war Hauptmann Festraets van Thienen. Von Einheimischen wurde ihm gesagt, er solle nicht im Herrenhaus nächtigen, da es dort spuken würde. Der Offizier ließ sich aber nicht abhalten und verbrachte die Nacht im Herrenhaus. Die Verwandtschaft des Hauptmanns im oberösterreichischen Lambach erhielt nach einigen Tagen einen Brief van Thienens in welchem er schrieb, er hätte in der Nacht ein unerklärliches Erlebnis gehabt und sich am nächsten Morgen vis-a-vis des Hauses hingesetzt um eine Zeichnung dieses Ortes anzufertigen, eine Zeichnung, die er diesem Brief beilegt. Der Brief ging verloren, die Zeichnung ist aber erhalten geblieben. Hauptmann van Thienen ist ein Verwandter von Dr. Albert Hackls Ehefrau. So hat diese Zeichnung seltsamer Weise wieder ihren Weg zurück an den Ort ihres Entstehens gefunden…
Auch heute noch berichten Gäste des Hauses von nächtlichen Umtrieben, Getrappel und Geraschel im Dachboden. Dabei dürfte es sich, wie sich aus den Spuren lesen lässt, aber um eine Marder-Großsippe handeln, die die Geister von einst als Untermieter abgelöst hat.