GUTSHOF IN FRATRES

vom Niemandsland zur Kulturbrücke
Gutshof Fratres (c) Nadja Meister IMG 9380
Gutshof Fratres (c) Nadja Meister IMG 9677

Fratres – ein Dorf am nördlichen Ende von Niederösterreich und nur einen Katzensprung von der Tschechischen Republik entfernt. Der kleine Ort im Bezirk Waidhofen an der Thaya steht aber auch für einen Neuanfang guter Nachbarschaft nach Jahrzehnten künstlicher Trennung.

Laut Adressbuch von Österreich waren im Jahr 1938 in der Ortsgemeinde Fratres, zu der auch die Gehringsmühle und die Rablingmühle sowie die Ziegelhütte gehörten, ein Gastwirt, ein Korbflechter, zwei Müller, ein Sägewerk, ein Schmied, zwei Ziegeleien und einige Landwirte ansässig. Ebenso befindet sich hier der Gutshof, von dem diese Geschichte handelt.
Die Ortschaft war 60 Jahre lang aus kultureller Sicht ins Hintertreffen geraten, wenn man von der Symbolwirkung eines zwischen den harten weltanschaulichen Fronten des Kalten Krieges gelegenen Platzes absieht.

Neues Leben an der „toten Grenze“
Mehr als 400 Kilometer betrug die Länge des Eisernen Vorhangs zwischen Niederösterreich und der damaligen Tschechoslowakei, und 40 Jahre lang befand sich dort eine „tote Grenze“ zwischen beiden Ländern.

Vier Jahrzehnte lang durfte das sogenannte Niemandsland nicht unkontrolliert betreten werden, so dass die darin gelegenen Gebäude dem Verfall preisgegeben waren.

Anfang der 1990er, als der „Vorhang“ endlich fiel, wollten einige Menschen diesen Umstand nicht mehr tatenlos hinnehmen, und es entstanden hüben wie drüben Initiativen zur Überwindung von Vorurteilen und zur Wiederentdeckung bzw. Belebung kultureller Gemeinsamkeiten.

Einer, dem dies besonders am Herzen liegt, ist der Politologe und Kunstsammler Dr. Peter Coreth, der 1992 den ehemaligen Gutshof in Fratres aus Hoyos-Sprinzenstein‘schem Besitz erwerben konnte. Coreth: „Damals hatte kaum jemand Interesse an dem heruntergekommenen Gebäude, so knapp an der Grenze. Was meine Frau und ich vorfanden, waren aber viel Platz und Architekturfragmente aus der Spätrenaissance um 1697.

Der Zustand des u.a. vom II. Weltkrieg, von verschiedenen Besatzungen und dem anschließenden jahrzehntelangen Leerstand arg in Mitleidenschaft gezogenen Hofes war so schlimm, dass mehrere Baumeister übereinstimmend meinten, er könne nur mehr abgerissen werden.

Im Hauptgebäude hatte bereits das Vieh des Vorbesitzers deutliche Spuren hinterlassen, und das zum Anwesen gehörende Försterhaus war völlig desolat. Auch waren viele Bauteile aus Holz, ja sogar Teile des Dachstuhls, von russischen Besatzungssoldaten einst zu Brennholz zerhackt worden. Von den ursprünglichen Eichentüren war nur mehr eine übrig, die später glücklicherweise als Muster für die Rekonstruktion aller fehlenden verwendet werden konnte.

Wir ignorierten sämtliche Bedenken und begannen mit der Renovierung. Vieles konnte aus Schutthaufen gerettet und wieder instandgesetzt werden. Dank professioneller Unterstützung war dann 1995 das Hauptgebäude soweit fertig, dass eine wohnliche bzw. museale Nutzung möglich wurde.“

Meisterhaft wiederhergestellt…
…und mit zeitgemäßer Gebäudetechnik ausgestattet, präsentiert sich der Gutshof seinen heutigen Besuchern von außen durch eine Allee mit einem barocken Tor. Diese führt in einen geschlossenen Innenhof mit drei alten Linden und einem großen Heckenrondell. Das Hauptgebäude enthält auf 600 m² zweilagige Tonnen- und Kreuzgewölbe, die alle im Detail unterschiedlich ausgeführt sind, sowie Granit-Portale in allen Räumen. Der 150 m² große Wohntrakt ist großteils antik möbliert. Im 300 m² großen Museumsbereich befinden sich auch Bibliotheken und ein Kaminraum. Weitere 150 m² Fläche stehen als Galerieräume für die Dauerausstellung höfischer westafrikanischer Ritualobjekte sowie für Wechselausstellungen zeitgenössischer Kunst zur Verfügung. Des Weiteren gibt es einen aus Kennerhand wohl gefüllten Gewölbe-Weinkeller mit zwei Schankräumen. Hinter dem Haus befindet sich eine große Wiese mit einem Megalithen-Steinkreis und Eichenbäumen.

Vom Niemandsland zur Kulturbrücke
In den 1990ern war es hier vorrangiges Ziel, die Nachbarschaft mit Tschechien wiederzubeleben und in die Gegenwart – Stichwort „Neues Europa“ – hinüberzubringen. Visionäre Leitmotive waren der Brückenschlag und die Grenzüberschreitung. Nach und nach entstand so in den alten Gemäuern ein Forum für interkulturellen Dialog und künstlerische Aktivitäten unterschiedlichster Art. Heute ist der Gutshof in Fratres u.a. ein Schauplatz für Sommerveranstaltungen des hier ansässigen Vereins Kulturbrücke, in denen eine spannende Verbindung von Bildenden Künsten mit Musik und Tanz, Literatur, Architektur, Film und Humanwissenschaften angestrebt wird. Aufgrund seiner Leistungen für Völkerversöhnung und Kulturverbindung wurde der Verein 2004 mit dem österreichischen Staatspreis ausgezeichnet.

Das eingebundene Museum Humanum, das sich aus der anthropologischen Privatsammlung Peter Coreth entwickelte, präsentiert tausende seltene Kulturzeugnisse aus aller Welt. Diese sind nicht nach geographischen oder kunsthistorischen Kriterien geordnet, sondern nach Motivgruppen, um den weltumspannenden Zusammenhang von Form und Bedeutung sichtbar zu machen. In dieser Werkstatt für Menschenkunde erscheint die Suche nach Sinn als völkerverbindendes Hauptmerkmal.

Im Brennpunkt steht das Fragen nach einem neuen und ganzheitlichen Menschenbild, das nicht von Ökonomie und einseitigen Kulturmustern beherrscht wird.

In fünf Arkaden…
…werden die zentralen Aspekte der Menschheitsentwicklung dargestellt. Die erste Arkade mit Überleben betitelt, zeigt die frühen Versuche des vorzivilisatorischen Menschen, mit Magie auf seine unwirtliche feindliche Umwelt einzuwirken. Es geht um Fruchtbarkeit, Jagdglück, Geisterabwehr, Traumbewältigung u.ä.

In der zweiten Arkade Götterwelten sind die Grundmuster religiöser Orientierung angeführt. Götterbilder unterschiedlicher Herkunft sind in Beziehung zueinander gesetzt und weisen auf Parallelen und Zusammenhänge hin. Neben dem Schwerpunkt Buddhismus gilt dem Tierbild als Bedeutungsträger in Mythos und Religion eine weitere Akzentuierung. Die dritte Arkade Bedeutungstransfer wirft ein Schlaglicht auf die sinnstiftenden Botschaften religiöser Kunst. Das alte magische Element erscheint hier bereits theologisch überbaut und mit den Mitteln der Schrift, des Gleichnisses und der sakralen Inszenierung verwandelt. Weil die Natursichtigkeit verschwunden ist, muss veranschaulicht und gelehrt werden. In der vierten Arkade Macht und Abwehr geht es um den Machtanspruch als religiöse und weltliche Anmaßung. Unter anderem wird gezeigt, wie sich Eliten zur Legitimation ihrer Herrschaft religiöser Symbole bedienen und was dieses Phänomen in der Kunst bewirkt.

Die fünfte Arkade Anthropozentrik verdeutlicht die Abkehr von religiösen Bedeutungsgefügen, die heute unsere Lebenswelt und damit auch die Formensprache der Kunst beherrscht. Das Kunstwerk und der Künstler stehen im Zentrum. Lesbarkeit und stilbildende Kraft gehen dadurch oft verloren.

Ort und Zeit für eine „Wiedergeburt“
Die Aufbruchstimmung der 1990er ist allmählich verebbt, doch deren Anliegen drängen mehr denn je. „Das Projekt Europa kann nur aus dem Geist wiederbelebt und weitergeführt werden“, ist sich Peter Coreth sicher. „Wirtschaft, Technik und Politik müssen dem Geist der Menschlichkeit und Solidarität unterstellt werden!“ Was würde sich daher als Hintergrund für eine Kulturbrücke und das Museum Humanum, in denen Weltbilder geöffnet und Visionen umgesetzt werden, besser eignen, als die in Fratres erhaltene beeindruckende Renaissancearchitektur?

Autor: Jürgen Niederdöckl
Fotos: Nadja Meister