Case Study House

eine "Fallstudie" im Tullnerfeld

CASE STUDY HOUSE | Eine „Fallstudie“ im Tullnerfeld

Jahrelang lag die begonnene Baustelle im Dornröschenschlaf bis die Eigentümer sich entschlossen, den Umbau doch weiterzuführen. Ausschlaggebend für diese Entscheidung war der Entwurf von Andreas Etzelstorfer, der den Altbestand aus den 60er Jahren sensibel umgestaltete und dabei erhaltenswerte alte Bausubstanz bewahrt.

Das Konzept der Case Study Houses (Fallstudien-Häuser) wurde in den Nachkriegsjahren des letzten Jahrhunderts in den Vereinigten Staaten entwickelt, als Millionen Soldaten am Ende des Zweiten Weltkrieges zurückkehrten und plötzlich akute Wohnungsnot entstand. Der Auftrag an die damaligen Architekten war einfach: erschwingliche und effiziente Häuser mit einfachem Grundriss und angemessener Grünfläche zu entwerfen und zu bauen. Ursprünglich als Experiment mit modernen Wohnprototypen begonnen, bleiben die Entwürfe des Case Study House-Programms in Bezug auf natürliche Materialien, Struktur und Form noch heute Inspiration für moderne Architektur.

Kostengünstiger Neuanfang
Das Einfamilienhaus im Tullnerfeld verdient es, in Gestaltung und Ausführung diesen Titel zu führen, wobei „erschwinglich und effizient“ der ausführenden Planung von Backraum – Architektur unter Andreas Etzelstorfer geschuldet ist. Für die Bauherrschaft eher kostspielig waren hingegen die im Vorfeld unglücklich verlaufenen Planungsphasen anderer Architekturbüros, deren Umgang mit dem Altbestand aus den 1960er Jahren schlussendlich nicht den sensiblen Vorstellungen der Eigentümer entsprach und sie den bereits begonnenen Umbau einstellten. „Das Projekt war eine Bruchbude, halb abgerissen, die leeren Fensteröffnungen mit Planen verhängt, aber man konnte auf den ersten Blick erkennen, welches Potenzial hier gegeben ist“, erklärt der Architekt seine Eindrücke nach der ersten Besichtigung.

Granulit-Kamin im Zentrum
Herzstück des Hauses ist ein wunderschöner, vorgemauerter Kamin aus Granulit – diesen unbedingt zu erhalten war für Etzelstorfer erste Priorität. Eine Entscheidung, die dem konkreten Verständnis der Bauherrschaft entsprach und so wurde das Gebäude sozusagen um den Kamin herum geplant. Auch das in Österreich in den 60ern beliebte Bruchsteinmauerwerk im Erdgeschoß blieb erhalten. Aus der ehemaligen Garage – heute für PKW viel zu eng – ist eine Werkstatt geworden. Im Holzbau darüber liegen in einer Ebene alle Wohnräume, ein auskragender Zubau, leicht schwebend und in den Hang abgestützt, vergrößert den Wohnbereich.
Auch im Freibereich auf der Terrasse spielt der Kamin eine zentrale Rolle. Früher konnte man über diesen Kamin mittels Schieber, je nach Bedarf, den Innen- oder den Außenraum beheizen. Heute ist das verboten, man entschied sich für den Außenbereich; innen sorgt nun ein Schwedenofen für gemütliche Wärme. Die Originalsteine des alten Terrassenbodens wurden gereinigt und wieder eingesetzt, der Sitzbereich im Freien mit Holzlamellen überdacht.

Samtige Außenwände
Eine Besonderheit ist die ungewöhnliche Ausführung der Fassade. Das Holz wurde mit Eisensulfat behandelt, dieses reagiert unmittelbar mit der Gerbsäure der Lärche und verändert auf Anhieb deren Oberfläche. Es entsteht eine einheitliche und gleichmäßige, grünlich gräuliche, samtige „Außenhaut“, die kaum nachwittert.
Was macht nun dieses Haus zu einem Case Study House? „Die ursprüngliche Planung des Altbestandes erfolgte in den 60er Jahren und das Konzept wurde offensichtlich damals als Vorbild genommen – insbesondere in Bezug auf Grundriss und Flachdach. Wir haben das in der Planung weitergetragen: Die Umgebung miteinbezogen, natürliche Materialien verwendet und auch die für dieses Konzept typischen tragenden Stahlkonstruktionen errichtet – bei uns in Form von horizontalen Bändern, die wir rundherum laufen lassen. Das alles lehnt sich an die klassische Moderne und die Case Study Houses an“, erklärt Andreas Etzelstorfer seine Entscheidung zu diesem Projekttitel.

Eigentümer: Privat
Planung: Backraum Architekten
Autorin: Susanne Haslinger
Fotos: Christoph Panzer