GLOCKENSPIEL

Die Kremser „Pummerin“
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GLOCKENSPIEL

Die Kremser „Pummerin“

Wer in der Kremser Altstadt über die steile, gedeckte Stiege en Kirchenvorplatz der Piaristenkirche, auch bekannt als Frauenbergkirche, erklimmt und seinen Blick auf die Kirchturmspitze richtet, kann bereits eine der Einzigartigkeiten unter Österreichs Kirchen mit freiem Auge sehen.

Als einziger Kirchturm im Land trägt er –anstelle eines Kreuzes an der Spitze – noch heute das Stadtwappen. Diese Besonderheit ist dem Umstand geschuldet, dass der sogenannte Frauenbergturm – nach der Übergabe an die Jesuiten 1616 – der Kremser Bürgerschaft weiterhin als Stadtturm dienen sollte; als Sitz des Stadttürmers für die Brandwache und zur Warnung vor herannahenden Feinden. Auch nachdem der Jesuitenorden aufgehoben wurde und die Kirche auf Wunsch Kaiserin Maria Theresias von den Piaristen übernommen wurde, blieb der Kirchturm im Besitz und der Verantwortung der Stadt Krems und ist es bis zum heutigen Tag.

Die zweite Exklusivität ist keine optische, sondern eine akustische. Wer am kommenden 24. Dezember die Christmette in der am Fuße des Frauenberges gelegenen Stadtpfarrkirche besucht, wird zum Beginn der Feier der Heiligen Nacht mit einem ganz besonderen Glockenläuten beschenkt; dann nämlich, wenn die letzten Glöckner Österreichs die über fünf Tonnen schwere Piaristenglocke mit reiner Muskelkraft händisch zum Klingen bringen und diese in das (elektrisch angetriebene) Geläute der darunter liegenden Stadtpfarrkirche klangvoll einstimmt.

Im Einklang
In stillem Einvernehmen weiß jeder der vier Männer an seiner Position, was zu tun ist. An drei Seiten wird zunächst in einem langsamen und gleichzeitig mächtigen Auf und Nieder die Glocke in Schwung gesetzt. Dann erst wird der Klöppel – er alleine wiegt an die 300 Kilogramm – vom Seil gelöst, mit dem er am Schwungbalken verbunden ist und schlägt mit der nächsten Schwingung die Glocke an. Jetzt lässt die Kremser „Pummerin“ als gewaltiges Klanginstrument mit ihrem imposanten Geläute das Innere des Turms gleichwohl wie die Körper der Glöckner erbeben und ist als große Stadtglocke von Krems weithin zu hören.

Insgesamt fünf Mal im Jahr ersteigen die fünf Glöckner – und das eine oder andere Mal mit ihnen auch eine Glöcknerin – den Turm, um die Piaristenglocke mit unglaublichem körperlichen Einsatz und absoluter Präzision zum Klingen und mit der gleichen Kunstfertigkeit auch wieder zum Verstummen zu bringen. Zu hören ist sie nach der Christmette, am 31. Dezember gemeinsam mit den Turmbläsern zur Jahresabschlussandacht, danach wieder am Ostersonntag, zu Fronleichnam, wo die Glöckner über die gesamte Prozessionsdauer von etwa 45 Minuten die Glocke in Schwung halten und seit einigen Jahren auch zu Mariä Himmelfahrt, am 15. August, zum traditionellen Patroziniumsfest der Piaristenkirche.

Und jedes Mal ist es auf eine Weise einzigartig, weil der Schlagton der Glocke sommers wie winters temperaturbedingt ein wenig variiert. Gegossen wurde sie 1702 von Mathias Prininger in Krems. Prininger galt als einer der bedeutendsten Glockengießer des Barocks in Österreich und Krems als einer der wichtigsten Glockengussorte. Daran erinnert heute noch die hiesige Schmelzgasse.

Brandwache
Noch bis Mitte der 1970er Jahre meldete der Turmwächter jede verdächtige Rauchentwicklung mit dem Läuten der kleinen Stundenglocke. Gemeinsam mit seiner Frau lebte er das ganze Jahr über auf kleinstem Platz, ohne jeden Komfort im zugigen Turm, der nur über schmale, steile, hühnerleiterartige Stiegen extrem beschwerlich zu erreichen war. Durchaus vorstellbar, dass das der Grund war, warum seine Frau eines Tages darauf drängte, den Turm zu verlassen und stattdessen zu ihren Verwandten ins Südburgenland zu ziehen. Keine Legende, sondern die Erinnerung eines der letzten Glöckner erzählt, dass seinerzeit mit viel Anstrengung die Möbelpacker alles Hab und Gut gemeinsam mit den zerlegten Möbeln der beiden über eben diese schmalen, steilen, hühnerleiterartige Stiegen nach unten brachten, um die Übersiedelung ins Südburgenland anzutreten.

Bis hierher lässt sich das Vorhaben der beiden für die meisten wohl gut nachvollziehen. Als dann allerdings drei Wochen später die beiden mit all ihrem Besitz wieder zurückkamen, weil es ihnen an ihrem neuen Ort einfach nicht gefallen hatte und dieselben Möbelpacker jedes einzelne Stück wieder mühevoll unter die Turmspitze tragen mussten, war es auf alle Fälle mit deren Verständnis vorbei.

Fotos: Wolfgang Spekner
Die Glöckner: Peter Dunst, Stefan Klanner, Florian Kittenberger, Wolfgang Steinschorn, Markus Killer