Von Weistrach bei St. Peter/Au unweit der Grenze zu Oberösterreich geht es über eine schmale gewundene Waldstraße entlang steiler Böschungen und einem ruhigen Bach auf den Nordosthang des Plattenberges. Ganz leicht zu finden ist sie nicht die Adresse, am Ziel in 540 Meter Seehöhe angekommen, wird man für seine Mühe aber mit einem malerischen Ausblick über die umliegende Landschaft des südlichen Mostviertels und weit darüber hinaus bis an die Ausläufer der Kalkalpen belohnt. Es ist hier auch nichts ungewöhnliches, wenn auf der Wiese direkt vor dem Haus eine Gruppe von Rehen friedlich äst – eine Szene wie im Bilderbuch.
Die Vorgeschichte
Der hier gelegene und im Jahre 1577 erstmals urkundlich erwähnte Hof Wagnerberg (Wagner unnderm Perg) ist ein regionaltypischer Vierseiter mit langer und wechselhafter Geschichte. Unter anderem gab es auch Berühungen mit dem napoleonischen Heer, das ihn 1807 niederbrennen wollte. Später wurde das Gehöft bis in die 1960er Jahre hinein als bäuerlicher Vollerwerbsbetrieb mit vorwiegend Milch- und Viehwirtschaft geführt. Nach der Übersiedlung des Betriebsinhabers diente es zeitweise als Wohngebäude und stand danach über 15 Jahre leer. Fallweise wurde es auch für Einlagerungen und als Abstellplatz genutzt, die rund um das Anwesen gelegenen landwirtschaftlichen Flächen mit Grünland, Obstbäumen und etwas Wald wurden und werden vom neuen Hof aus bewirtschaftet.
Romantischer Anblick – desolater Zustand
Als die jetzigen Besitzer, Vier befreundete Paare aus Wien, 1978 erfuhren, dass der Hof mitsamt Garten und Wald auf knapp einem Hektar Grundfläche zum Verkauf angeboten wurde, war das Gebäude infolge der langen Leerstehung bereits in einem bedrohlich schlechten Bauzustand. Nicht nur die notwendigen Erhaltungs- und Modernisierungsarbeiten waren seit längerem unterblieben, der Hof war auch nicht an das Stromnetz angeschlossen und als Wasserversorgung diente lediglich eine provisorisch erfasste Quelle mit Zuleitung in das Stallgebäude (!). Außerdem führte zum Anwesen nur eine steile Wegzufahrt mit tief ausgefurchten Spurrillen, die einem PKW arg zusetzen konnten. All diese widrigen Umstände hatten andererseits jedoch zur Folge, dass dieser Hof in einem sonst kaum noch anzutreffenden ursprünglichen, beinahe musealen Erscheinungsbild erhalten geblieben war.
Anreiz und Herausforderung
Nach kurzer Überlegung – und etwas länger dauernder Überwindung formaler Hindernisse wurde das Anwesen von den Freunden gemeinsam erworben. Anreize waren zum einen die für Großstädter besonders attraktiven Möglichkeiten der Freizeitnutzung und des Rückzugs in die Natur, zum anderen erwachte in ihnen auch das Interesse an der Erhaltung und behutsamen Sanierung der altehrwürdigen, historischen Bausubstanz. Glücklich waren jetzt nicht nur die neuen Eigentümer, sondern auch der ehemalige Vorbesitzer, denn er konnte nicht nur aus dem Verkaufserlös ein zusätzliches Stallgebäude auf seinem neuen Hof errichten. Auch sein geliebtes Elternhaus war nun vor dem sicheren Verfall bewahrt, ohne ihn damit weiter finanziell zu belasten, und die Bewirtschaftung rund um das Haus wurde durch die neuen Bewohner nicht beeinträchtigt. Ganz im Gegenteil, es ergab sich von Beginn an eine für beide Seiten vorteilhafte Partnerschaft. Der Großteil der nicht eingezäunten Gartenfläche blieb Teil der umgebenden Viehweide – was den jetzigen Besitzern das Mähen erspart – und auch der Bauernhof selbst steht der Familie des Vorbesitzers für gelegentliche Nutzungen offen. Für die neuen Besitzer wiederum waren der Altbauer und seine Familie ebenso wie die Familie des angrenzen – den Nachbarhofes „Höpolten“ mit ihrem vielseitigen Wissen stets die wichtigsten Ratgeber und Helfer.
Sanfte Sanierung
Die Neunutzung als Wochenend- und Ferienhaus machte es zunächst erforderlich, dringende Erhaltungsarbeiten am Dach, bei den Fenstern und den Fundamenten durchzuführen, sowie den komplett verwilderten Innenhof zu roden und zu drainagieren. Die bestehende Quelle wurde neu gefasst und
das Wasser erstmalig bis ins Wohnhaus eingeleitet. Alle Wohnräume, die Küche und die Stube wurden vorerst mit einfachen Mitteln bewohnbar gemacht und erst später Schritt für Schritt saniert. Zu den wichtigsten Erneuerungen gehörten die Kastenfenster, der Holzfußboden und an vielen Stellen der Fassade der Verputz. Außerdem wurden im Lauf der Jahre immer weitere Bereiche des Hauses technisch und funktionell erneuert. So wurden in die ehemalige Futterküche ein Bad und die Sauna eingebaut, aus dem Ochsenstall wurden eine Werkstatt und der Schweinestall ein neues Aufenthaltszimmer. Auf dem Heuboden entstand eine vielseitig nutzbare Galerie, aus deren Öffnungen der Blick weit in die umliegende Landschaft schweifen kann. Bis vor einigen Jahren mussten fast alle Arbeiten manuell durchgeführt werden, denn eine Stromzuleitung gibt es erst seit relativ kurzer Zeit. Mit den neuen technischen Möglichkeiten sowie unter Einsatz zunehmend größerer finanzieller Mittel konnte auch die Sanierung weiter voranschreiten. Der Zufahrtsweg wurde befestigt und asphaltiert, die etwa der Dachfläche von zwei Einfamilienhäusern entsprechende schlechtere Dachhälfte wurde frisch eingedeckt und Teile der Fassade erneuert. Indessen blieben der ursprüngliche Charakter des Hauses und seine originale Substanz von den beschriebenen Änderungen bzw. Verbesserungen völlig unberührt und bis heute werden beispielsweise sämtliche Wohnräume wie früher üblich mit Einzelöfen beheizt. Brennholz dafür liefert der Wald in ausreichendem Maß.
Wohngemeinschaft einmal anders
Die Wurzeln jener freundschaftlichen Runde, die den Wagnerhof seit nun fast 40 Jahren belebt und instand hält, reichen bis in die frühen 70er-Jahre zurück. Damals wohnten einige Mitglieder der „Kommune“, wie sie in der ersten Zeit augenzwinkernd von ihren Nachbarn genannt wurden, in einer zeittypischen Studenten-WG in der Heinestraße in Wien Leopoldstadt. So etwa Herbert Lackner, Journalist und Langzeitchefredakteur des Nachrichtenmagazins Profil, der bei unserem Besuch schmunzelnd in alten Fotoalben blättert und dann und wann auf ein Bild hinweist: „In den 70ern gingen hier viele bekannte Persönlichkeiten aus der Politik- und Kulturszene ein und aus. Die Zeit war geprägt von einer Aufbruchsstimmung und positivem Veränderungswillen. Hier konnten wir einerseits ein bisschen Abstand gewinnen und andererseits selbst praktische Erfahrungen machen, wie sie für weite Teile der Bevölkerung damals
zum Alltag gehörten.“
Für das Lehrerpaar Ursula Spendlingwimmer und Wolfgang Grafenberger waren die ersten Jahre hier vor allem geprägt von der Freude an einem alternativen Lebenskonzept. Uschi: „Es gab natürlich viele und lange Diskussionen bis sich acht ausgeprägte Individualisten in so manchem Detail einig werden konnten. Zeitweise wurde die Atmosphäre auch durch neue hinzugekommene Personen angeheizt. Manche kamen und gingen wieder, nicht ohne Spuren zu hinterlassen. Aber wir lernten viel, sowohl gruppendynamisch, als auch was die konkrete praktische Arbeit, das Handwerkliche eben betrifft.“
Wolf: „Ja, es gab und gibt viel zu tun. Als Belohnung dürfen wir hier die einfache Schönheit genießen. Die Substanz des Hauses gibt viel her, alles entstand durch jahrhundertelange Erfahrung. Der Wagnerberg ist ein Kraftzentrum, die viele Arbeit, die wir hier schon hineinsteckten, fließt als positive Energie wieder zu uns zurück. Wenn ich hier bin, schlafe ich eine Stunde weniger und fühle mich trotzdem fitter als sonst.“
In die gleiche Kerbe schlägt Terezija Stoisits, längstdienende Abgeordnete der Grünen im Österreichischen Parlament und danach Volksanwältin. Sie kam einst durch ihren Lebensgefährten Bruno Aigner, der sich selbst als „Heinz Fischers linke Hand“ bezeichnet, hier her. „Wenn ich hier am Wagnerberg bin, erlebe ich eine Woche wie drei Wochen Urlaub sonstwo.“ Stoisits wuchs im südburgenländischen Stinatz auf: „Der Wagnerberg kommt für mich gleich nach meinem Heimatort. In all den Jahren ist er mir ans Herz gewachsen, aber ich freue mich auch an den Unterschieden der beiden Landschaften. Und der Ausblick hier ist grandios, über die Hügel bis ins Ybbstal und zum Sonntagberg und auf der anderen Seite ins Donautal und darüber hinweg bis ins Mühlviertel. Das ist ebenso einmalig wie das Haus selbst. Die dicken Steinmauern funktionieren selbst in heißen Sommern besser als jede Klimaanlage und vermitteln in jeder Hinsicht Sicherheit und Geborgenheit. Auch braucht es hier keine Sensationen, das Einfache zählt. Das Miteinander, das gemeinsame Kochen, Essen, lange Spaziergänge und Gespräche. Wir haben hier sozusagen eine Generationen übergreifende temporäre Wohngemeinschaft. Unsere Kinder, die schon längst ein selbstständiges Leben führen, kommen auch gerne mit ihren Freunden hierher. Mein Sohn formulierte es unlängst so: Das ist Qualitätszeit!“ Dem ist nichts hinzuzufügen.