Der Fischaturm in Fischamend

Besichtigen Sie das Wahrzeichen von Fischamend bei einem Besuch des liebevoll gestalteten Heimatmuseums
©Christoph Bertos
©Christoph Bertos

Als der Lokalhistoriker Franz Anton de Paula Gaheis (1763-1809) zu Beginn des 19. Jahrhunderts seine „Wanderungen und Spazierfahrten in die Gegenden um Wien“ unternahm, notierte er im Sechsten Bändchen auf dem Weg nach Bruck an der Leitha seine Entdeckung: „und endlich auch die Thurmspitzen von Fischamend“.

Der Ort, dessen alter Name „Vischagemunde“ vielleicht noch deutlicher zum Ausdruck bringt, dass dortselbst die Fischa in die Donau mündet, wird seit bald tausend Jahren von einem Turm geprägt, der bis heute Aufmerksamkeit auf sich zieht. „Hier ist ein massiv erbauter Thurm von hohem Alter, der über die Fischabrücke vom Dorfe Fischamend getrennt ist […] Dieser Thurm ist ziemlich hoch, und hat auf seiner Spitze einen 11 Schuh langen, eisernen Fisch“, schrieb Franz Xaver Schweickhardt (1794-1858), der mit seiner „Darstellung des Erzherzogtums Oesterreich unter der Ens“ Niederösterreich ab 1831 topographisch verewigte, im Ersten Band seiner Beschreibung des Viertels „Unterm Wienerwald“.

Der Fisch an der Turmspitze, der den Fischaturm – wenn auch nachvollziehbar, so dennoch historisch inkorrekt – zum Fischerturm mutieren lässt, wurde von Adalbert Melichar in seiner Publikation von 1997 spezifiziert: „Der güldene Wetterfahnenfisch weist eine Länge von 1,50 Meter und eine Höhe von 0,65 Meter auf. Der Fisch wiegt 8,5 kg und hat einen Fassungsraum für 30kg Korn.“ Im Nachsatz präzisiert der Autor und Gründer des „Kulturkreis Fischamend“ die Turmhöhe mit der Dimension von 37,38 Meter, die auf eine Messung im Jahr 1993 beruht, wie auf der Website des Heimatmuseums nachzulesen ist. Hier findet man auch äußerst übersichtlich die Geschichte des Bauwerks dargestellt, deren Anbeginn um 1050 datiert wird. Dessen Funktion war laut Eberhard Molfenters „Fischamend – Ein Heimatbuch“ aus dem Jahr 1964 zunächst Wachturm für „Auslug“ bzw. „Abwehr“ und „Hoheitszeichen an der Staatsgrenze“ zu Ungarn, in späteren Jahrhunderten wurden die Innenräume als Ratsstube genutzt.

Das dreistöckige Bauwerk erfuhr im 17. Jahrhundert eine Aufstockung um zusätzliche Ebenen. Mit dem Ausbau des Verkehrsweges zwischen der Residenzstadt Wien und dem Königreich Ungarn wurde im 18. Jahrhundert eine kaiserliche Erlaubnis erteilt, den bestehenden Durchgang zu einer Straßendurchfahrt aufzurüsten, wie Alois Gehart zu „Fischamend in alten Ansichten“ 1982 erklärt. Vom viereckigen Unterbau aufsteigend „verjüngt sich der Turm achteckig in zwei Geschossen mit seitlich freistehenden Zierpyramiden. In den darauffolgenden Jahrhunderten hatte der Marktturm unter Erdbeben (1766, 1768) und Feuersbrünsten (1738, 1817) wiederholt Schaden genommen und wurde öfters renoviert“, so Gehart. Eine markante Umgestaltung erfuhr der Turm in Folge des verheerenden Brandes von 1834. Das Schindeldach wurde durch eine Kuppel aus Kupfer als feuerbeständigeren Material ersetzt. Da im Ersten Weltkrieg wertvolle Werkstoffe benötigt wurden, wechselte man das Kupfer gegen verzinktes Eisenblech aus. Dieser Eingriff wurde erst 1964 revidiert und seitdem bekrönt das Halbedelmetall wieder den Fischaturm, der auch als „Marktturm“ bezeichnet wird.

Besichtigen lässt sich das Wahrzeichen von Fischamend bei einem Besuch des liebevoll gestalteten und auf Vereinsbasis geführten Heimatmuseums, das seit der Zwischenkriegszeit im Turm ein authentisches Quartier gefunden hat. Vom Privatsammler Karl Grabscheit 1927 gegründet, von Eberhard Molfenter übernommen und in Folge von Franz Lorenz als Leiter und Vereinsobmann betreut, zeigt das Museum nach Stockwerken thematisch aufbereitet spannende Objekte von der Ortsgeschichte über Handwerk bis zu ländlichem Leben. Zu den besonderen Details des Museumsausbaus gehört die Adaptierung eines Fensters als Vitrine im ersten Stock und der Einsatz von Fischamender „Fischziegeln“ als Boden im 3. Stock, deren Erzeugung bereits im 17. Jahrhundert belegt ist. In luftiger Höhe des 5. Stockwerks befindet sich das handgeschmiedete historische Uhrwerk, das seit über 180 Jahren die Turmuhr in Gang hält und bei den technischen Betriebsrekorden solcher Mechaniken in Österreich ganz vorne dabei ist. Seit 1972 unterstützt ein elektrisches Aufzugswerk die kontinuierliche Zeitanzeige; die letzte Restaurierung des Uhrwerks erfolgte 2022. Und noch um eine Leiterlänge höher schallt über die umliegenden Dächer die Glocke, deren Klang bis 1870 den Alltag des Nachtwächters in nächster Nähe erfüllte. Denn wie auch anderwärtig war auch in Fischamend der Turm das Habitat des Vertreters dieses Metiers. In Miniatur wurde ein Modell des Fischaturms zum Bienenstock umfunktioniert, wie das museumORTH als Kuriosum zum Thema Imkerei aufwarten kann.

Immer wieder wurde der Fischamender Marktturm renoviert, so erinnert eine Schrifttafel über der vormaligen Durchfahrt an die Mitwirkung der Kaiserlich Königlichen Central Commission für Erforschung und Erhaltung von Kunst und Historischen Denkmale im Jahr 1886 bei der Instandsetzung. Am Beginn der 1970er Jahre wurde das Bauwerk renoviert, kurz vor Ende des Jahrzehnts verlegte man den bis dahin durchgeleiteten Verkehr mittels Umfahrung und schützte so das Monument langfristig. Die nächsten Erhaltungsmaßnahmen erfolgten 1998 und der Abriss des Nebengebäudes im Jahr 2000 lässt das Bauwerk nunmehr als Solitär seine Wirkung entfalten. Aus dieser Zeit stammt auch der Vorbau aus Glas am Eingangsbereich.

Zugänge zur außergewöhnlichen Geschichte des Orts eröffnet die Kustodin Barbara Marangoni vom Verein „Stadtmuseen Fischamend“ mit großem Engagement: „Der Fischaturm bedeutet für mich und viele Fischamender Heimat. Das Gemäuer des Turmes strahlt Ruhe und Beständigkeit aus und der Aufenthalt im Turm macht eine Zeitreise in die Vergangenheit ganz leicht möglich.“

Fotos: Romana Fürnkranz
Drohnenfotos: Christoph Bertos