KULTRAUM STRASS | Die ehemalige Pfarrkirche

Baugeschichtlichen Untersuchungen zu Folge stammt der Gründungsbau aus den Jahren 1180 bis 1220, also der Spätromanik.
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DIE EHEMALIGE PFARRKIRCHE ZU EHREN ALLERHEILIGEN IM FALKENTAL

Die bekannte Weinbau-Gemeinde Straß im landschaftlich reizvollen Straßertale liegt am Südostrand des Waldviertels unmittelbar an der Grenze zum Weinviertel und zählt zum Bezirk Krems-Land. Am Nordende der heutigen Ortschaft, 600 Meter vor der Ruine Falkenberg, befindet sich die ehemalige Pfarrkirche aus dem Mittelalter.

Gleich vorweg, dieses heute von seinem Eigentümer treffend als Kultraum bezeichnete Bauwerk, wurde im Zuge der Reformen unter Kaiser Joseph II. im Jahre 1787 profaniert und im Jahr darauf verkauft. In weiterer Folge wurde der Kirchenbau zu einem Wohnhaus umgestaltet. Der gerichtlich zertifizierte Sachverständige für historisches Mobiliar und Hammerklaviere Johann Stöckelmaier, entdeckte die Liegenschaft mit dem mittelalterlichen Gemäuer sowie diversen Ein- und Anbauten in den frühen 2000er Jahren. Stöckelmaier: „Es war pragmatisch gesehen ein Zufall – ich hatte mich eines Abends auf einer Immobilienplattform einfach umgeschaut, was so an historischen Objekten angeboten wurde. Es gab vor mir schon einige Interessenten an der ehemaligen Kirche, doch die warfen schon nach der Erstbesichtigung ob des desaströsen Zustandes das Handtuch und so konnte ich sie dann 2011 erwerben.“

Entwicklung als Sakralbau
Baugeschichtlichen Untersuchungen zu Folge stammt der Gründungsbau aus den Jahren 1180 bis 1220, also der Spätromanik. Noch in dieser Stilphase wurde er mindestens zweimal umgebaut und später in der Gotik nach Osten hin erweitert, wobei weite Teile der ursprünglichen Struktur erhalten blieben. Als Zeuge dieser ursprünglichen Gestaltung konnte beispielsweise im Zuge der Revitalisierung ein romanisches Fenster freigelegt werden. Das Mauerwerk besteht aus hammerrechten bis blockigen Bruchsteinen und ist zweischalig ausgeführt. Nach 1300 wurde, wie oben erwähnt, der damalige Ostabschluss abgebrochen und die Längsmauern zu einem gotischen Langchor mit Kreuzrippengewölben erweitert. Dabei wurden die Strebepfeiler ohne weitere bauliche Maßnahmen einfach an die Längswände des romanischen Chorquadrates angestellt, wodurch in Teilen die romanische Fassadengliederung noch heute erkennbar ist.

Die Herkunft bestimmter spätgotischer Elemente wie des Rundbogenportals ist unklar. Möglicherweise befand es sich ursprünglich im Langhaus, das zu Beginn des 17. Jh. abgetragen worden war. Das so gewonnene Baumaterial brauchte man für die 1638 eingeweihte neue Kirche im Ortszentrum, dass nach einem Brand im Zuge der Bauernaufstände zwei Kilometer nach Süden verlegt worden war.

Der heiligste Ort des Sakralgebäudes, der Chor mit Altarmensa und Sanktuarium, blieb bestehen und der vorgelagerte Triumphbogen wurde abgemauert und mit dem oben erwähnten Rundbogenportal ausgestattet. Außerdem wurden die gotischen Spitzbogenfenster in der Nord- und Südwand des Chortraktes durch breite und hohe Fenster mit segmentbogigem Sturz ersetzt. Für die nächsten 150 Jahre diente der nun deutlich verkleinerte Bau als Kapelle bzw. Nebenkirche, in der die Bevölkerung aus der Umgebung an Samstagen und Sonntagen ihre Andachten abhielt. Und auf dem dazugehörigen Gottesacker wurden bis zur Profanierung sogar noch Bestattungen durchgeführt.

Nach der Entweihung
1787 wurde die alte Pfarrkirche durch den Dechant von Kirchberg profaniert und bald darauf verkauft.
Die neuen Besitzer wollten das Baudenkmal als Wohnhaus und für landwirtschaftliche Zwecke nutzen. Im südöstlichen Bereich wurde daher eine Scheune angebaut und das gesamte Terrain durch Aufschüttungen erhöht, u.a. mit der Absicht, die Distanz zu den Gräbern zu vergrößeren. Den Bereich hinter der Apsis hob man bis zu zwei Meter hoch an, um bei der Bewirtschaftung über das flach ansteigende Gelände stufenlos in das Innere der Dachzone des Stadels zu gelangen, wo Heu und Stroh für die Tiere im benachbarten Stall gelagert waren.

Um überflüssige Raumhöhe im Wohnbereich zu verringern, wurde der Boden im Erdgeschoß um ca. ein Meter erhöht, und die gotischen Fenster wurden geschlossen bzw. in annähernd quadratische Fenster umgeformt. Mit einem, den Dächern der bäuerlichen Gehöfte in der Umgebung angeglichenen, niedrigen Krüppelwalmdach wurde der einstige Sakralbau schließlich auch optisch an die neue Verwendung angepasst.

Wiederherstellung der Kultstätte
Bereits im 18. Jhd. war das ehemalige Presbyterium durch eine Holzdecke bzw. mit einem Gewölbe in ein Sockel- und ein Obergeschoß mit kleinen Räumlichkeiten unterteilt worden. Und so fand es auch Johann Stöckelmaier vor: „An den Spuren der Vorbewohner ließ sich ablesen, dass offenbar nur das Untergeschoß dauerhaft wohnlich genutzt worden war während das Obergeschoß eher zu Repräsentationszwecken diente.“ Die eingebaute Holzdecke besaß gekehlte Trame wodurch sie dem frühen 19. Jahrhundert zugeordnet werden konnte. Die südöstliche an den Chor angebaute Scheune besteht in Teilen aus der spätmittelalterlichen Umfassungsmauer des Friedhofes und wurde im Zuge der Revitalisierung beibehalten, weil ihr vorgezogenes Dach das hintere Viertel der originalen südlichen Chormauer vor Regen geschützt hatte. Diesem Umstand ist es zu verdanken, dass hier gotische Oberflächen mit Quadermalerei erhalten sind, die somit auch weiterhin von zerstörerischen Witterungseinflüssen verschont bleiben.

Der gotische Innenraum wurde hingegen entkernt und die Abbrucharbeiten zur Gänze händisch und mit großer Sorgfalt durchgeführt. So wurden beim Freilegen der gotischen Wandoberflächen auch Reste mittelalterlicher Malerei entdeckt.

Weiters konnten sekundär verwendete mittelalterliche Bauteile ausgesondert und teilweise wieder am ursprünglichen Platz eingebaut werden. Besonders markant: Das romanische Rundbogenportal im Bereich der Südwand sowie nordseitig das romanische Doppeltrichterfenster mit dekorativen Putzritzungen.

Eine „Heidenarbeit“ war es die Böden im Innen- wie im Außenbereich wieder auf das Niveau vor 1786 abzusenken, denn dazu mussten hunderte Kubikmeter Erdreich aufgegraben und entfernt werden.

Idee und Zukunftsvision
Im Revitalisierungskonzept des Bauherrn war, abgesehen von der Wiederherstellung des mittelalterlichen Innenraums der Kirche, keine Rekonstruktion oder historisierende Wiederherstellung einer mittelalterlichen Kirche vorgesehen. Vielmehr soll die baugeschichtliche Entwicklung dieses Objekts mit ihren unterschiedlichen Stilmerkmalen und charakteristischen Besonderheiten dokumentiert und am Bauwerk ablesbar bleiben. In diesem Sinne wurden auch späte Umbauten wie etwa der Dachstuhl aus der Zeit um 1800 beibehalten.

Der Anbau im Norden aus dem Jahre 1922 wurde hingegen in Anlehnung an Größe und Form des Vorgängerbaues durch einen ganz neuen Wohntrakt ersetzt. Hier befinden sich eine kleine Wohnküche mit Zugang zum Kircheninneren, sowie Schlaf- und Badezimmer im Dachgeschoß. Auch wurde die Holzdecke, die einst Teil der profanen Einbauten im Kirchenraum war, restauriert und ziert seither diesen Trakt, der aufgrund seiner großzügigen Verglasung leicht und unaufdringlich wirkt. Beide Bereiche, der neue Wohnteil sowie der gotische Innenraum sind nun mit moderner Gebäudetechnik wie z.B. mit einer Wand- und Fußbodenheizung ausgestattet.

Über die künftige Nutzung befragt, erklärt Johann Stöckelmaier:Ein so ungewöhnliches Objekt muss man beobachten und begleiten, bis es letztlich selbst auf eine Verwendung hinweist, die ich vielleicht heute noch gar nicht kenne. Aber sicher ist, dass die örtlichen Gegebenheiten nur eine Nutzung in kleinem Rahmen zulassen. Von der Miete eines Hauses mit Kirche, Urlaub, Selbstfindung an diesem uralten Kraftort, Aufführungen mittelalterlicher Musik bis hin zur Hl. Messe im vorkonziliarem Ritual kann ich mir Vieles vorstellen, was der Würde und Geschichte dieses Ortes angemessen ist.“
Weitere Informationen: https://www.instagram.com/cultraum_strass/?hl=de 

Autor: Jürgen Niederdöckl
Fotos: Nadja Meister