So mancher träumt gelegentlich das Märchen aus Kindheitstagen: Es war einmal ein Prinz und der lebte mit seiner Prinzessin auf einem wunderschönen Schloss. Wir wollten bei einem Besuch in Schrattenthal ein wenig vom Leben in einer mittelalterlichen Anlage kennenlernen und die Eindrücke mit unseren Lesern teilen.
Unsere Entdeckungsreise führt daher heute in ein ehemaliges Wasserschloss unweit (7km) der Weinstadt Retz. Im weitläufigen Areal finden sich Reste einer Verteidigungsanlage, die im Jahre 1220 erstmals urkundlich erwähnt wurde und spätestens ab dem 15 Jhd. Teil der mittelalterlichen Befestigung der Stadt Schrattenthal war. Zwischen 1660 und 1719 wurde das Schloss barockisiert und erhielt durch mehrere Um- und Ausbauten im 19. Jahrhundert sein heutiges Aussehen. Die in Privatbesitz befindliche, etwa 10 Hektar große Anlage mit Schloss, Vorburg und Schlosspark besteht aus verschiedenen Wohn- und Wirtschaftsgebäuden, der Schlosskirche sowie den ehemaligen Befestigungs- und Verteidigungsanlagen.
Fest ummauert
Am rechtsseitig gelegenen Meyerhof (von lateinisch maiores villae – Wohnsitz des Verwalters=Meier), der Wirtschaftsgebäude und Lagerräume beherbergt, führt der Weg über eine schmale Brücke in die Vorburg. Sie umfasst rund drei Fünftel des Gesamtareals und ist durch tiefe, aus dem Fels gehauene, Gräben gesichert. In früheren Zeiten gelangte man über ein großes, über eine Zugbrücke erreichbares Tor oder die daneben liegende Mannpforte an der Südseite in die Anlage.
Im Inneren ein gotischer Schafstall, der Hungerturm und Kelleranlagen, Schüttkasten, Stöckl und jede Menge Schloss. Schrattenthal gehört übrigens zu den größten Schlossanlagen Niederösterreichs – allein, die mit Bastionen bewehrte Bruchsteinmauer aus dem Spätmittelalter ist mehr als 900 Meter (!) lang, und lässt erahnen, was es bedeutet, einen Gebäudekomplex dieser Größenordnung zu restaurieren und zu erhalten. Der Zahn der Zeit nagt hier und dort und so bedarf selbst die solide Mauer einer ständigen Nachbesserung.
Bei unserem ausgiebigen Rundgang erläutert Mag. Brigitte Schubert, die gemeinsam mit ihrem Ehemann das Schloss von 1986 an renoviert und bewohnt, ihre Motivation so eine Riesenaufgabe anzunehmen: „Der Besitz eines solchen Kulturgutes bedeutet Verantwortung, es für die nächsten Generationen zu erhalten und ist mit viel Arbeit, Mühe und auch finanziellem Aufwand verbunden. Es macht aber auch viel Freude, bei der Restaurierung eines Objektes in andere Jahrhunderte einzutauchen und sich dann über das Ergebnis zu freuen.“ Seit 1932 ist das Schloss Schrattenthal im Besitz der Familie Schubert, mit Tochter Dipl. Ing. Andrea Schubert mittlerweile in der vierten Generation.
Der östliche Flügel und die Vorburg
Vom Eingang linkerhand gelegen, befindet sich eine langgestreckte, im Kern aus der Gotik stammende Scheune, die heute als Maschinenhaus, Werkstätte und Traktorremise dient. Interessant ist, dass historische Quellen auf die ursprüngliche Nutzung des Gebäudes als protestantisches Bethaus hinweisen. Architekturkennern fallen hier an der barocken Fassade sofort zwei ältere Segmentbogenfenster, mehrere Schlitzbogenfenster sowie ein Spitzbogenportal mit profiliertem Gewände auf. Letzteres bezeichnet eine schräg in das Mauerwerk geschnittene, seitliche Begrenzung eines Portals, eines Fensters oder einer Schießscharte – im Unterschied zur senkrecht zur Wand stehenden Laibung. An die Scheune grenzt südöstlich ein weiterer eingeschoßiger Bau mit einem spätgotischen Kern und Kreuzrippengewölbe aus dem 15. Jahrhundert. An der Südostecke des einstigen Schafstalls und heutigen Künstlerateliers sind noch Mauerreste der ersten Befestigungsanlagen aus dem Hochmittelalter erhalten.
Ins Land hinein schaun
Der Befestigungsmauer nach Südosten folgend, gelangen wir nun zum so genannten Hungerturm. Dieser mächtige freistehende Rundturm hat mit einem Durchmesser von etwa 18 Metern und einer Mauerstärke von mehr als 5 Metern (!) beeindruckende Dimensionen. Von oben aus öffnet sich dem Besucher ein fantastischer Rundblick auf die von Wein und Weizen geprägte Landschaft. Das große Plateau kann aber nicht nur mit seiner herrlichen Aussicht aufwarten, gelegentlich wurde es auch schon für feine Feste in luftiger Höhe genutzt. In seiner heutigen Gestalt stammt das Bauwerk aus der Mitte des 15. Jahrhunderts. Es hat an der Ostseite einen in sechs Meter Höhe gelegenen Spitzbogeneinstieg, zu dem man über eine hölzerne Treppe gelangt. Einst dürfte der Bau als Wehranlage gegen die Hussiten errichtet worden sein. 1472 wurde die örtliche Gerichtsbarkeit an die Schlossherren übertragen und der Turm für Gerichtszwecke genutzt. Das im Keller gelegene Verlies und der Name „Hungerturm“ zeugen von dieser Epoche.
Schüttkasten und Presshaus
Im Westen des Hungerturmes schließt ein langgestreckter zweigeschoßiger Schüttkasten aus dem Jahre 1713 an, wie die über dem Rechteckportal angebrachte Bekrönung mit Allegorien und dem Wappen des Freiherrn Putz von Adlersthurm ausweist. Markus Putz Freiherr von Adlersthurm ließ die im Dreißigjährigen Krieg teilweise zerstörte Wasserburg ab 1670 im Barockstil in das Wohnschloss in seiner heutigen Form umbauen. (mehr dazu im zweiten Teil)
In dem barocken Speicherbau wurde noch bis in die jüngste Zeit das geerntete Getreide zunächst getrocknet und anschließend gelagert. Bei 140 ha Äckern und landwirtschaftlichen Flächen, die zum Schloss gehören, kommt einiges zusammen. Zwischen dem Schüttkasten und dem weiter westlich gelegenen Presshaus steht dicht an die Mauer gelehnt ein dreiachsiges schlichtes Gebäude. Ein ehemaliger Wachturm, heute zum Wohnhaus umgebaut.
Etwas abgewinkelt, und leicht aus der Fassadenlinie des Schüttkasten versetzt, liegt das ehemalige Presshaus, das nun Wohnungen enthält. Dabei handelt es sich um eine spätgotische eingeschoßige Anlage mit Holzbalkendecke und einer breiten Treppe in den Weinkeller. Über dem rechteckigen Mittelportal befindet sich eine mit 1553 bezeichnete Lünette mit dem Wappen der Eyczinger, die bis zum Jahre 1620 hier die Schlossherren waren.
Kirschen und Lavendel
Zur Schlossanlage gehören wie bereits erwähnt auch große Gärten und landwirschaftliche Flächen. So z. B ein Kirschengarten der vor einigen Jahrzehnten angelegt wurde und bis zum EU-Beitritt Österreichs so manchen Wiener mit Tafelobst versorgte. Danach wurden verstärkt Kirschen aus der Türkei und Italien importiert, wodurch die bisherigen Produzenten nicht mehr wettbewerbsfähig waren. So lag also der herrliche Kirschengarten mit seinen damals 2.700 Bäumen (!) lange Zeit brach, bis Andrea Schubert und eine Freundin die Idee hatten, so genannte Baumpatenschaften ins Leben zu rufen. Um 35 Euro im Jahr kann man sich einen Kirschbaum „mieten“. Die sehr naturnahe Pflege liegt in den Händen von Andrea Schubert. Zum Kirschblütenfest treffen sich die Paten, um sich ihren ganz persönlichen Baum auszusuchen und im Familien- und Freundeskreis zu feiern und qualitätsvolle Zeit miteinander zu verbringen. Aus den im Sommer geernteten Kirschen werden auch sehr delikate Essige und Sirupe hergestellt, die direkt im Schlossladen gekauft werden können.
Brigitte Schubert: „Noch sehr jung sind unsere Lavendelfelder außerhalb der Schlossmauern. Sämtliche Pflanzenteile des Lavendels enthalten ein begehrtes Aromaöl, das mit speziellen Maschinen direkt auf den Feldern hergestellt werden kann. Wir sind schon gespannt wie sich dieses Projekt weiterentwickelt.“
Wer nun auf den Geschmack gekommen ist und einiges über den Wohnbereich des Schlosses mit seinen Innenräumen, den dazugehörigen Bauten und angrenzenden Außenflächen wissen will, erfährt dies im zweiten Teil dieses Artikels.
Oder Sie machen sich selbst ein Bild vor Ort:
www.schloss-schrattenthal.at.