Dass er ein goldenes Händchen für Immobilien in bester Lage hatte, bewies ein gewisser Herr Haas, seines Zeichens Baumeister in Wolkersdorf, schon um 1900. Er erkannte das Potential des Ortes, der aufgrund seiner Nähe zu Wien und der Gemütlichkeit seiner Heurigen-Gaststätten ein beliebtes Ausflugsziel für die gehobene Beamtenschaft aus Wien darstellte.
Weitsichtig kaufte Haas die Gründe zwischen Bahnhof und Stadtzentrum und errichtete dort eine Wohnsiedlung. Die fertigen Häuser verkaufte er an die begüterte Wiener Klientel, die fortan nicht nur ihre Sommerfrische in dem Ort verbrachte, sondern aufgrund der guten Bahnverbindung gleich ganz nach Wolkersdorf übersiedelte. Und weil in jedem Haus der neuen Besitzer, die etwas auf sich hielten, ein Klavier stand, auf dem die Töchter Klavierunterricht bekamen, heißt dieses Viertel im Ortsjargon noch heute „Klavier-Viertel“.
Immobilien-Development anno 1900
Das Haus der heutigen Eigentümer fügt sich auch nach seinem Umbau harmonisch in das Straßenbild ein, in eine Umgebung, in der alle Häuser noch so erhalten sind, wie sie um 1900 gebaut wurden. „Wir befinden uns hier in einem der letzten geschlossenen Ensembles in Wolkersdorf, das bewahrt werden sollte“, erklärt der Bauherr die Entscheidung, das Haus zu erhalten und beim Umbau alt und neu so zu verbinden, dass die Stimmigkeit gewahrt bleibt, die zwischen den Häusern in der Straße herrscht.
Behutsamer Umgang
Bei der Generalsanierung wurde daher die Fassade an der Vorderseite des Gebäudes, die an der Straße liegt, unverändert belassen und originalgetreu renoviert. Die Neugestaltung konzentrierte sich ausschließlich auf die Rückseite des Hauses, die sich Richtung Garten orientiert. Der Grundriss des Wohnhauses sollte beibehalten, das Dach ausgebaut werden und die gewonnenen Flächen sollten zu 100 % als Wohnraum dienen. Für Nebenräume fehlte es an Platz, darum entschied man sich für gestrichene Holzzubauten neben dem Haus, die als Stau- und Abstellräume genutzt werden können. In Ausführung und Verarbeitung fügen diese sich harmonisch und dezent an den Altbau an.
Workshop zur Ideenfindung
Der Umbau, mit dem Anspruch alt und neu zu verbinden, war eine große Herausforderung. Vieles wurde in Eigenregie gemacht, Freunde haben mitgeholfen. Der Entwurf und die Planung stammen von Martin Rührnschopf. „Nachdem wir Wünsche und Raumkonzept artikuliert hatten, wurde der Erstentwurf im Zuge eines Ganztagesworkshops präsentiert. Jedes Feedback und jede Änderung die dort zur Sprache kamen, wurden von Martin sofort händisch mitskizziert, sodass am Ende des Tages jener Entwurf vorlag, der auch umgesetzt wurde“, erzählt der Bauherr über die gute Zusammenarbeit. Die Materialauswahl folgte nachhaltigen Kriterien, so kamen Holzfaserdämmung im Dachgeschoss und bei der Wärmeschutzfassade, natürlicher Kalkinnenputz sowie eine Luft-Wärmepumpe als Energiequelle zum Einsatz. Außergewöhnlich ist auch das Lüftungskonzept des Hauses: Jeder Raum im Dachgeschoß verfügt über drei hintereinander Richtung Giebel angeordnete Dachflächenfenster. Die oberen beiden sind elektrisch zu öffnen, genauso wie die Oberlichten der raumhohen Fenster im Erdgeschoß. In der Nacht, wenn die Luft abgekühlt ist, öffnen diese Fenster mittels Zeitschaltung automatisch. Es entsteht ein natürlicher „Kamin-Effekt“ und durch den Luftzug strömt die kühle Luft vom Erdgeschoß bis hinauf ins Dach. Die warme Luft, die sich über den Tag aufgestaut hat, entweicht am höchsten Punkt – über die obersten Dachfenster. So bleibt die Temperatur im Inneren des Gebäudes auch im Sommer angenehm. Ein Haus zum Wohlfühlen!
Eigentümer: Privat
Planung: Martin Rührnschopf architecture