Magazinbeitrag

Elemente der Baukunst

Bauschmuck

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Historischer Ornamentreichtum
Der Begriff des Ornaments hat seinen Ursprung in der antiken Rhetorik. Laut Cicero diene die schmuckvolle Rede dazu, einen Sachverhalt in „rechten Worten“ – das heißt nicht nur klar, sondern auch auf unterhaltsame und hinreißende Weise – zum Ausdruck zu bringen. Eine ähnliche Aufgabe erfüllten in der antiken Architektur Kapitelle, Friese, Zierbänder und Palmetten. Baukonstruktion und Bauschmuck standen in lebhafter Beziehung zueinander und erfreuten das Auge. In der griechischen und römischen Antike wurden vor allem im Tempelbau reichhaltige Schmuckformen erprobt und Säulenordnungen mit ausgeklügelten Proportionen und Ziergliedern geschaffen, die einer tektonischen Logik folgten und für die abendländische Architektur stilprägend wirkten. Zwischen den geometrischen oder pflanzlichen Ornamenten tauchten häufig auch Menschen- und Tierdarstellungen auf. Gebälk wurde von muskulösen Herren (Atlanten) oder anmutigen Damen (Karyatiden) gestemmt, dazu gesellten sich mythische Mischwesen wie Löwen-Menschen (Sphinxe) oder Raubvogel-Löwen (Greife). Jeder Kulturkreis, jede Epoche entwickelte und variierte ihre je eigene Ornamentkultur und Symbolik, welche die Architektur zum Sprechen brachte und ästhetisch anreicherte. Besonders das 19. Jahrhundert, das sich explizit der Wiederbelebung historischer Stilformen verschrieben hatte, schwelgte in Musterbüchern, die den Ornamentreichtum aller Epochen zugänglich und verfügbar machte. Ein Neubau an der Wiener Ringstraße konnte plötzlich die französische Gotik oder die italienische Renaissance heraufbeschwören oder ägyptisch oder fernöstlich angehaucht sein.

Ornamentfeindliche Moderne
Mit dieser freizügigen Mischung aller Muster und Zierformen trat rasch Übersättigung ein – am Beginn der Moderne geriet das Ornament in eine heftige Krise. Der Dekor späthistoristischer Zinshaus-Fassaden war hohl und oberflächlich geworden, wirkte wie aufgeklatscht, täuschte Palast-Pracht vor, wo Mieter-Ausbeutung herrschte. In einer industrialisierten Epoche, in der Zweckmäßigkeit, Funktionalität und Materialgerechtigkeit in den Vordergrund rückten, verlor das Ornament, dem die handwerkliche Grundlage abhandengekommen war, allmählich seine Glaubwürdigkeit. Auch die eleganten Girlanden der Jugendstil-Architektur konnten daran nichts ändern. Der Wiener Architekt Adolf Loos spürte die Verkommenheit der kunstgewerblichen Verschönerungsindustrie und sagte den „überflüssigen“ Zierformen 1908 in seinem berühmten Aufsatz „Ornament und Verbrechen“ den Kampf an. Er selbst verwendete bei vielen seiner Projekte industriell hergestellte Holzzierleisten und markant gemaserte Natursteine als ausdrucksstarkes Natur-Ornament. Die Beziehung der Moderne zum Ornament blieb stets zwiespältig und schwierig: Obwohl der Funktionalismus der 1920er Jahre im Purismus der schmucklosen Baukörper die Ornamentlosigkeit feierte, war er vor Formalismen keineswegs gefeit. Adolf Loos sparte nicht mit Kritik: „Wenn ein Gebrauchsgegenstand in erster Linie nach ästhetischen Gesichtspunkten geschaffen wird, ist er ein Ornament, mag er auch noch so glatt sein.“

Neue Werkzeuge, neue Muster
Spätestens mit der anspielungsreichen Postmoderne entflammte die Ornamentdebatte erneut. Doch während damals die ironische Neuverwendung historischer Schmuckformen diskutiert wurde, haben heute neue Werkstofftechnologien und digitale Entwurfswerkzeuge auch neue Gestaltungsmöglichkeiten gebracht. Die Wiederbelebung des Ornaments macht sich in der spielerischen Plastizität von Bauwerken bemerkbar, aber vor allem an der Außenhaut von Gebäuden: Gläserne Vorhangfassaden werden mit Siebdruckmotiven inhaltlich angereichert, Roboterarme fügen Klinkerziegel zu kunstvoll bildhaften Mauerschalen zusammen, Paneele mit gefrästen Mustern verwandeln eine Fassade in ein abstraktes Gemälde. Auch wenn sich an der Schönheit oder Überflüssigkeit der Gestaltung am konkreten Einzelfall die Geister scheiden, ist offensichtlich: das totgesagte Ornament hat längst nicht ausgedient.

Artikel von Gabriele Kaiser